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FDP-Aussteiger Lehmann: Fliegender Wechsel stärkt Wowereits Koalition

Die SPD drängt ihren umstrittenen Abgeordneten Hillenberg zum Rückzug und begrüßt den FDP-Aussteiger Lehmann. Ein Parteienforscher sieht dessen Fraktionsübertritt als Wählertäuschung.

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So einen turbulenten Dienstag wie gestern hat Berlins Landespolitik lange nicht erlebt. Es ging um zwei umstrittene Personalien: Am Morgen war bekannt geworden, dass der bisherige FDP-Abgeordnete Rainer-Michael Lehmann aus Partei und Fraktion austreten und zur SPD wechseln wollte. Und am Nachmittag diskutierte die SPD-Fraktion über den Abgeordneten Ralf Hillenberg. Der hatte als Bauplaner Aufträge der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge ohne Ausschreibung erhalten und sollte sein Mandat niederlegen. Falls nicht, wollte ihn die SPD-Fraktion ausschließen. Hillenberg kam dem zuvor und verließ „auf eigenem Wunsch“ seine Fraktion.

Die beiden Personalien lösten bei Regierung und Opposition große Unruhe aus, aber sie ändern unterm Strich vorerst nichts an den Mehrheitsverhältnissen der rot-roten Koalition. Mit dem Übertritt von Lehmann, der seiner bisherigen Partei einen „Geist sozialer Kälte“ vorwarf, verfügt Klaus Wowereits Regierungsbündnis weiterhin über eine ausreichende Mehrheit im Abgeordnetenhaus: SPD und Linke kommen – ohne Hillenberg, aber mit Lehmann – zusammen auf 76 Stimmen, CDU, Grüne und FDP auf 71. Zur Opposition lässt sich auch der parteilose Abgeordnete Rainer Ueckert rechnen, ehemals CDU-Mitglied. Andererseits liegt es nahe, dass Hillenberg weiterhin, jedenfalls meistens, im Parlament mit der Koalition stimmt.

Klaus Wowereit lobte Lehmanns Wechsel zu den Sozialdemokraten als „kluge Entscheidung“. Lehmann sei ein „engagierter Politiker“, der vor allem im sozialen Bereich eine „hohe Kompetenz“ habe und anerkannt sei, sagte der Regierende Bürgermeister der Agentur ddp. Wenn er keine politische Heimat mehr in einer FDP sehe, dann sei er bei der SPD herzlich willkommen. Der Wechsel zeige, „welche Richtung die FDP genommen hat“, sagte Wowereit, der auch stellvertretender Vorsitzender der Bundes-SPD ist. „Sie ist eben nicht mehr die liberale Partei, die wir aus der Zeit der sozialliberalen Koalition kennen, sondern hat sich eindeutig zu einer Klientelpartei entwickelt.“ Das führe bei einigen „profilierten Mitgliedern der FDP“ zu einem Umdenken.

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In seiner bisherigen Fraktion stieß Lehmanns Wechsel auf Verwunderung. Der Sozialpolitiker hatte seinen Schritt unter anderen damit begründet, dass in der FDP der Leistungsgedanke überbetont werde und dass eine „massive Mittelumverteilung“ zum Nachteil sozialer Projekte gefordert werde. Das hielten seine Kollegen in der Fraktion wie auch seine Parteifreunde in der FDP Pankow für vorgeschoben. Ihre Vermutung: Die Ursache könnte darin zu suchen sein, dass der in seiner eigenen Partei zunehmend umstrittene Lehmann sich eine politische Zukunft außerhalb der FDP sichern wollte. Manche seiner bisherigen Fraktionskollegen vermuten, dass Lehmanns Schritt sogar direkt mit der unsicheren politischen Zukunft des Sozialdemokraten Hillenberg zusammenhängt: Sollte die SPD nach dem zu erwartenden Abschied von Hillenberg dessen Posten als Vorsitzender des Petitionsausschusses zu vergeben haben, dürfte Lehmann daran Interesse zeigen. Er vertrat bislang die Liberalen in dem Gremium. „Es ist doch alles nur ein Deal“, sagt Lehmanns ehemalige FDP-Freundin Mieke Senftleben. Lehmann selbst äußerte sich nicht zu diesem Vorwurf. Er ist in Urlaub.

So politisch umstritten Lehmanns überraschender Schritt ist, so eindeutig ist die Lage rechtlich. Die Verfassung von Berlin lässt daran keinen Zweifel: „Die Abgeordneten sind Vertreter aller Berliner“, steht da in Artikel 38. „Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Das ist allerdings nur die juristische Seite. „Politisch-moralisch ist so ein Wechsel ein großes Problem“, sagt der Politikwissenschaftler Richard Stöss dem Tagesspiegel. „Ein  Abgeordneter ist immer in Zusammenhang mit einer Partei gewählt worden“, die sich im Wahlkampf für diesen Kandidaten eingesetzt und ihm Werbung und Wahlhelfer zur Verfügung gestellt habe. Ein Wechsel in der laufenden Legislaturperiode sei „immer auch ein bisschen Wählertäuschung“.

2009 gab es schon einmal ein „Bäumchen-wechsel-dich“, als die SPD-Frau Canan Bayram zu den Grünen ging, dann die Grünen-Abgeordnete Bilkay Öney zur SPD wechselte und der Haushaltsexperte der Linken, Carl Wechselberg ebenfalls die SPD-Fraktion verstärkte.

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