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© dpa

Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg: Franz Schulz: Der Konfliktmeister

Wenn die Fetzen fliegen, blickt er wie ein Buddha in die Ferne. Und die Fetzen fliegen oft im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – von vorn und hinten, links und rechts. Mittendrin: der grüne Bürgermeister Franz Schulz.

Von David Ensikat

Fragt man ihn nach der Sache mit dem Reifen, schweigt er erst mal. Das macht er gern. Er schweigt und guckt einen an, und man fragt sich, ob die Frage so dämlich war. Gab es den Reifen überhaupt?

Man hat gelesen, was Zeitungen über ihn geschrieben haben, man hat Gespräche geführt mit Freunden und mit Feinden (niemand von ihnen würde sich so nennen, weder „Freund“ noch „Feind“), man hat sich Fragen aufgeschrieben, und dann sitzt man da, in seinem Büro, in dem die Auslegware und die Schranktüren aussehen, als würden sie die gefährlichsten Substanzen freisetzen, es ist ganz still, und er sitzt gegenüber und gibt sich Mühe, auf jede Frage eine Antwort zu geben, möglichst eine mit vielen Substantiven, die analytisch klingt, doch wenig sagt, und er schweigt manchmal, als lege er es darauf an, dass sich sein Gegenüber ähnlich unwohl fühlt wie er. Franz Schulz, der Mann, um den es gehen soll, will eigentlich nicht, dass es um ihn geht. Er macht nur mit, weil man das eben macht. Alles Repräsentative ist ihm fremd.

Aber Franz Schulz ist Bürgermeister. Er regiert den Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, 270 000 Einwohner, so viele wie in Münster oder Gelsenkirchen. Sein Jacket passt zur Auslegware, grau, sein Hemd zu den Stühlen und zur Schreibtischplatte, schwarz, sein Haar zur weißen Wand. Doch er ist ein Grüner. Ein grüner Bürgermeister im wohl buntesten Bezirk der Stadt, ach was, des ganzen Landes, ein grüner Bürgermeister, der andauernd mit Sachen beschäftigt ist, die die Grünen-Wähler und die ganzen Leute, die sich hier engagieren, sehr aufregen: Beton an der Spree, Fixer am Kottbusser Tor, Ärztehaus an der Bergmannstraße, Zoff im Künstlerhaus Bethanien. In seinem Bezirk hat das Sich-Engagieren Tradition. Man redet mit, sehr laut. Und der Bürgermeister muss am Ende, wenn alle mitgeredet haben, sagen, wie es läuft. Und dann läuft es meistens anders, als die Engagierten sich das vorgestellt hatten.

"Der will sich ein Denkmal setzen"

Ein Engagierter, Heinz Kleemann vom Mieterrat Chamissoplatz e.V., sagt das Schlimmste, was man in Kreuzberg über einen Grünen sagen kann: „Die von der FDP würden Franz Schulz sofort aufnehmen!“ Für Heinz Kleemann ist Franz Schulz ein Mann, der einerseits nur tut, was er selbst für richtig hält, selbstherrlich und bürgerfern. Andererseits wirft er ihm vor, allein den Interessen der Investoren zu genügen. „Der unterstützt hier alle Bauprojekte, auch wenn es keine Notwendigkeit gibt.“ Ob Heinz Kleemann irgendein Bauprojekt für notwendig hält, ist nicht ganz klar.

Weil die Sache mit dem Reifen, nach der wir Franz Schulz anfangs gefragt haben, ohnehin sehr weit zurückliegt, können wir sie weiter nach hinten schieben und uns zunächst dem Gesundheitszentrum an der Bergmannstraße widmen. Es klaffte bis vor wenigen Jahren eine große, hässliche Baulücke an der Bergmannstraße. Jetzt steht dort ein großer, tiefer Neubau mit ansehnlicher Fassade und eher tristem Hof. Franz Schulz, der nicht nur Bürgermeister sondern auch für Stadtentwicklung im Bezirk zuständig ist und früher Baustadtrat war, hat den Bau genehmigt.

Heinz Kleemann war dagegen, so wie viele andere Anwohner auch. Es gab sieben öffentliche Aussprachen, ein „Kaufkraftverlagerungsgutachten“, ein „Verkehrsgutachten mit zusätzlicher Vertiefung“ sowie ein „Verschattungsgutachten“. Der Bauherr musste unter anderem eine teurere Fassade bauen, weniger Tiefgaragenplätze als geplant einrichten, ein Staffelgeschoss weglassen. Nun, da das Haus steht, spricht der Bürgermeister von einem schönen Erfolg, auch wegen der netten Fassade, und der Gegner von einem Flop. Die meisten Praxisräume stünden leer, sagt Heinz Kleemann, und trotzdem gebe es viel mehr Verkehr. Auf die Frage, warum Franz Schulz den Bau des Hauses nicht unterbunden habe, warum er so investorennah und bürgerfern sei, fällt Heinz Kleemann zweierlei ein: „Der will sich ein Denkmal setzen“ und: „Er ist ein Machtmensch.“

Ein Bürgermeister muss das anders angehen

Das Füllen einer Baulücke mit einem Ärztehaus – anderswo geschieht so etwas einfach so; in Kreuzberg fliegen die Fetzen, beraten die Gremien, beraten oft sehr lange, und so lange geschieht nichts weiter. Dann geschieht etwas, und übrig bleiben Feinde. In Kreuzberg leben besonders viele Menschen, denen Wohl und Wehe der ganzen Welt am Herzen liegen, und wenn der ganze Schlamassel schon vor der Haustür beginnt, dann kämpft man vorerst vor der Haustür. Soll man denn den weltweiten Kapitalismus bekämpfen, aber dem Kapitalisten von nebenan, genannt Investor, das Feld überlassen?

Ein Bürgermeister muss das anders angehen, zumal einer, der einen armen Bezirk regiert. So lange auch in Friedrichshain-Kreuzberg der Kapitalismus gilt, braucht man auch hier die Kapitalisten. Es sind ja nicht die löblichen Sozialprojekte, die die Gewerbesteuer bringen. Und Arbeitsplätze, die nicht die klamme Stadt bezahlt, entstehen auch nur, wenn sich ein Ausbeuter zum Ausbeuten entscheidet, wenn er investiert.

Die Sache bei Franz Schulz ist die: Er war einmal so links, dass er selbst die Gründung einer links-alternativen Partei für abweichlerisch und korrupt hielt. Damals trug er Lederjacke, wohnte in WGs, zeichnete Karikaturen für die Zeitschrift „Radikal“ und verausgabte sich bei der antiautoritären Erziehung im Kinderladen. Er stammt aus Aschaffenburg. Vater Schulz war Anstreicher und Franz Schulz ein Aufsteiger, wenn man das so sagen darf. Buchdruckerlehre, spätes Abitur, Studium der Physik, abgeschlossen in Berlin, und Promotion. Bei den Grünen ist er seit 1990, zwischen 1996 und 2000 war er Bürgermeister von Kreuzberg, seit 2006 ist er Bürgermeister des Doppelbezirks Friedrichshain-Kreuzberg.

Sein Rezept: Runde Tische

Befragt danach, wie es wohl wäre, wenn der lederbejackte Schulz aus den 80er Jahren mit der Zeitmaschine ins Heute geschickt würde und nun dem Sakko tragenden, 60-jährigen Bürgermeister gegenüberstünde – schweigt er erst mal. Sicher, er ist Physiker, er weiß, dass das nicht geht. Aber Herr Schulz, nur mal angenommen … Er zieht an seiner Zigarette, schaut einen an, und man grübelt längst an der nächsten Frage, die sachlicher sein soll. Da sagt er doch noch was: „Na ich hätte sicher diskutiert.“ Aha. Worüber denn? Da muss er wieder überlegen. So wird das nichts.

Also etwas Sachliches. Wie war das neulich im Bezirksparlament? Da hatte man den Eindruck, seine grüne Fraktion stünde ganz woanders als er, viel weiter „links“ irgendwie, wenn man „links“ als Anti-Investoren-pro-Sozialprojekt-Haltung verstehen will. Die Fraktion stimmte gegen einen Entwurf für einen Bebauungsplan, den Schulz durchbringen wollte. Es ging um das „Revaler Viereck“. Eine Industriebrache in Friedrichshain, die zum Teil vom „RAW Tempel e.V.“ genutzt wird. Das ist eines jener „soziokulturellen Zentren“, die dem Bezirk kein Geld bringen, aber den Ruf, dass hier immer etwas los ist (ein Umstand übrigens, der Investoren anlockt). Gäbe es den Verein nicht, wäre auf dem Revaler Viereck seit 15 Jahren Totentanz. Und gäbe es ihn nicht, könnte der Investor, dem das Grundstück seit zwei Jahren gehört, selbiges nunmehr „entwickeln“. So nennen das Investoren, wenn sie planen, bauen, vermieten, verkaufen. „RAW Tempel“ will bleiben, die Investoren wollen entwickeln, so könnte man den Konflikt kurz umschreiben. Franz Schulz will vermitteln. Das will er immer.

„Soziokulturelle Zentren“ findet er gut, einer mit seiner Vergangenheit kann gar nicht anders. Andererseits muss und will er auch die „Entwicklung“ einer Brache zu einem Investitionsobjekt unterstützen. Sein Rezept in solchen Fällen: Runde Tische. Die Streitenden zusammenbringen, Kompromisse finden. So etwas kann sehr lange dauern, je fester die Standpunkte, desto länger. Nach etlichen Zusammenkünften verloren die Investoren des „Revaler Vierecks“ die Geduld und verließen die Verhandlungen. Um sie wieder an den Tisch zu holen, musste Schulz ihnen etwas bieten, die konkrete Aussicht auf einen Bebauungsplan.

Zu lieben scheinen ihn die Grünen nicht

Darum ging es im Bezirksparlament. Auf der Zuschauertribüne standen viele laute Menschen vom „RAW Tempel“, und die Wortmeldungen der Grünen- Fraktion klangen wie ein tapferes „No pasaran!“ an die Investoren. Selbstverständlich lehne man den Planentwurf des Bürgermeisters ab. Die Tribüne applaudierte. Der Bürgermeister blickte wie ein Buddha in die Ferne. Darin sei er gut, sagen viele: wenn die Fetzen fliegen, dasitzen und keine Regung zeigen.

Die anderen Fraktionen haben zugestimmt, der Entwurf kam durch, allein das war für Franz Schulz wichtig. Er konnte danach die Gespräche mit den Investoren wieder aufnehmen. Selbstverständlich hat er die Interessen des „RAW Tempel“ im Blick, selbstverständlich soll der bleiben, sagt er. Wozu dann die Ablehnung seiner eigenen Fraktion? Nur um der Tribüne zu gefallen? – „Kein Kommentar.“

Es ist nicht ganz einfach, Auskünfte über Franz Schulz einzuholen. Grüne Parteifreunde ergehen sich in einem allgemein-freundlichen Blabla, dass man sich fragt, ob es sich wirklich um Partei- Freunde handelt. Die Kreuzberger Grünen gelten als kompliziert, links und konfliktfreudig. Befragt nach Schulz erlebt man sie als bieder, ahnungslos und langweilig. Sie wissen, dass er ein hervorragender Verwaltungsfachmann und Taktiker ist. Zu lieben scheinen sie ihn nicht.

Auch die Rolle des Vermittlers beherrscht er

Ein Investitionsargument für Franz Schulz’ Bezirk ist die Folklore: Da ist was los, da treffen sich die Gegensätze, die Kulturen. Ein Argument, das auch bei jenen zieht, die „Multikulti“ für eine romantische Spinnerei halten, ist die Wasserlage. Grundstücke, Büros und Lofts mit Spreeblick! Die Investoren, die die Ufer von Friedrichshain und Kreuzberg mit ihrem gewinnträchtigen Beton versehen und noch versehen wollen, haben sich zu einem Interessenverbund „Mediaspree“ zusammengeschlossen, die Friedrichshain-Kreuzberger, die das verhindern wollen, zu Initiativen namens „Mediaspree versenken“ und „Spreepiraten“. Der Sprecher der Versenker, Carsten Joost, hat Franz Schulz in der Rolle des Vermittlers kennengelernt. Und man staunt, wie zugetan er dem Bürgermeister ist. Vor einem Jahr – Mitte Juli – haben die Investorengegner einen großen Erfolg gefeiert: Bei einem Bürgerentscheid haben sich mehr als 80 Prozent dafür ausgesprochen, dass die Ufer der Spree nicht den Bauherren gehören sollen, sondern den Bürgern. Ein Grünstreifen, 50 Meter breit! So hat das Volk es sich gewünscht. Franz Schulz war gegen den Bürgerentscheid. Nicht weil er die Idee des Grünstreifens falsch fände – seit Jahren engagiert er sich für einen, wenn auch in bescheideneren Dimensionen. Er ist Realist und weiß, dass die 50 Meter niemand durchsetzen, geschweige denn bezahlen kann. Längst haben Bauherren etliche Grundstücke samt Baurecht erworben; das kann man ihnen nicht einfach nehmen.

Was tat Schulz, nachdem sich die Bürger entschieden hatten? Er richtete einen Sonderausschuss ein, einen Runden Tisch mit Investoren, Gegnern, Bezirkspolitikern, an dem nun Grundstück für Grundstück durchgenommen wird. Die Investoren waren irritiert: Will er am Ende noch Verträge aufkündigen? Die Gegner ließen sich von Veteranen der Kreuzberger Debattenkultur warnen: Da werdet ihr verheizt! Einer der Aktivisten verließ den Ausschuss nach einigen Sitzungen: Man kann ja doch nichts ändern, Investoren bauen, wo sie wollen, der Schulz steckt mit denen unter der Decke! Carsten Joost aber, der oberste Versenker, bleibt dabei, studiert die Pläne, sieht, was geht und was nicht und sagt über Franz Schulz, dass der grundsätzlich ja das Richtige wolle, wenn er auch hin und wieder die Dinge etwas zu eigenmächtig angehe und nebulös taktiere.

Er war auch mal ganz anders

Das sagen die meisten, die mit Schulz zu tun haben: Man blickt nicht durch. Schulz vermittelt das Gefühl, viel mehr zu wissen, als er sagt. Wie sollte es auch anders sein: Er verhandelt immer von der Mitte aus. Vorn und hinten, links und rechts zerren die Interessenten, er selbst will als Bürgermeister dieses und als Irgendwie-Alternativer jenes. So einer macht aus seinem Herzen eine Mördergrube. So einer trägt eine Maske und sagt nur etwas, wenn er muss.

Das ist nun der Punkt, an den die Geschichte mit dem Reifen gehört. Sie handelt nämlich von jenem Franz Schulz, der mal ganz anders war. Es war das Jahr 1993, in Kreuzberg stritt man sich über die Öffnung einer Brücke über die Spree für den Autoverkehr – die Oberbaumbrücke zwischen dem einstigen Ost- und West-Berlin – , als ginge es um eine Autobahn mitten durch den Kiez. Auf der einen Seite das mobilitätswahnsinnige Establishment aus CDU und SPD, auf der anderen die Grünen, die den toten Winkel Kreuzberg retten wollten. Franz Schulz, damals einfacher Bezirksabgeordneter, hatte unbemerkt einen großen Reifen mit ins Parlament genommen, um ihn dem SPD-Fraktionsvorsitzenden nach einer viel zu autofreundlichen Rede über den Kopf zu stülpen. Das gab einen Riesenkrach, die Fraktionsvorsitzende der Grünen soll sich unter Tränen für den Heißsporn entschuldigt haben.

Kein Spaß am belanglosen Händeschütteln

Ein paar SPD- Leute erinnern sich noch daran; bei den Grünen weiß niemand mehr etwas davon. Franz Schulz sagt, dass er sich so genau nicht mehr erinnern könne, aber naja, „irgendwie aktionistischer“ sei „man“ damals schon gewesen. Da ging das noch, da war „man“ nur dem eigenen Gewissen gegenüber verantwortlich, und daneben allerhöchstens noch dem Wohl der ganzen Welt. Nach dem Gespräch in seinem Büro muss er zum Integrationsausschuss. Der tagt nicht im Friedrichshainer Rathaus, in dem Schulz sein Büro hat, sondern in Kreuzberg. Schulz fährt mit seinem Auto rüber, einem kleinen Toyota. Es ginge auch mit Dienstwagen und Chauffeur – nein, geht es nicht, er ist ein Grüner, den Dienstwagen hat er abgeschafft.

Im Ausschuss diskutieren sie über die Roma, die aus Rumänien nach Berlin gekommen sind und zuerst in Kreuzberg Quartier bezogen hatten. Sie haben den Bezirk längst verlassen, der Senat kümmert sich in aller Hilflosigkeit um das Problem, da sitzen sie in Kreuzberg beisammen, zwei Stunden lang und beschließen am Ende ein folgenloses „Statement“. Franz Schulz sagt nur einmal etwas, nämlich, dass er nichts zu sagen hat. Er muss in jedem Monat bei zwölf Ausschüssen anwesend sein. Nach dem Ausschuss, 19  Uhr muss er weiter, eine Sitzung zum Quartiersmanagement.

Am nächsten Morgen muss er einer Hundertvierjährigen zum Geburtstag gratulieren. Das könnte er locker angehen. Doch leider hat er keinen Spaß am freundlich belanglosen Händeschütteln.

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