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CDU Berlin

© Montage: Lobers

Führungskrise: Wer ist die Berliner CDU?

Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre, sang einst Marlene Dietrich, eine Berliner Legende. So ähnlich geht es auch der Partei, deren Führungskrisen legendär werden könnten.

WIE IST AUS EINER 40-PROZENT–PARTEI EINE 18-PROZENT-PARTEI GEWORDEN?

Nun mal nicht gleich so negativ: Im ersten Halbjahr 2008 lag die Berliner CDU in den Meinungsumfragen immer über 20 Prozent. Im Juni lagen nur vier Prozentpunkte zwischen der Union und der Regierungspartei SPD, die selten über 27 Prozent gemessen wird. Derzeit aber trudelt die CDU in Berlin abwärts in Richtung 18 Prozent, und das liegt an der jüngsten Führungskrise. Weil einige der führenden Köpfe der Hauptstadt-CDU zu Selbstzweifeln und Selbstkritik durchaus in der Lage sind, halten sie auch eine 15-Prozent- CDU in Berlin für möglich.

Kaum zu fassen, dass die Partei in den neunziger Jahren wie ein Monolith in der politischen Landschaft stand. 1999 wählten 40,8 Prozent der Berliner CDU. Und das waren im Vergleich zu den gloriosen achtziger Jahren schon schlechtere Zeiten. 1981 hatten Richard von Weizsäcker und die von ihm zum Leuchten gebrachte CDU triumphale 48 Prozent geholt, 1985 gewann sein Nachfolger Eberhard Diepgen 46,4 Prozent der West-Berliner. Weizsäcker hatte die CDU breit aufgestellt, Diepgen behielt das bei: Das Soziale erschien genauso wichtig wie eine gewisse Härte in Sachen Sicherheit – heute erinnern sie sich gern an die personelle Bandbreite von Volker Hassemer bis zu Heinrich Lummer. Weizsäcker hatte gezeigt, dass West-Berlin ein politisch interessanter Ort ist, Diepgen machte dann seine eigene Berlin-Politik, er brachte die Halbstadt dazu, sich zu feiern und feiern zu lassen und als kulturell spannende Metropole Besucher anzuziehen.

Damals war die SPD viele Jahre lang chancenlos – die Leute straften sie für den Garski-Skandal der späten Siebziger ab, einen politisch-bauindustriellen Komplex, für den die ganze SPD moralisch haften musste. Der Niedergang der Berliner CDU begann 2000/2001 mit dem Bankenskandal, der mit einem Parteispendenskandal verbunden war. Es ging um zwei Spenden von insgesamt 40 000 Mark – und es ging um die geschäftlichen Verbindungen zwischen den beiden ImmobilienUnternehmern Christian Neuling und Klaus-Hermann Wienhold sowie der Bankgesellschaft Berlin, zu deren Vorstand CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky gehörte. Solche Geschichten werfen einen sehr langen Schatten. In diesem Schatten frösteln heute die, die die Partei zu reformieren und zu reparieren versuchen.

WOHER KOMMEN DIE DAUERNDEN FÜHRUNGSKRISEN IN DER BERLINER CDU?

Wer nach dem Skandal Verantwortung übernimmt, kann aufräumen. Aber er muss auch viel einstecken. Er arbeitet ein paar Jahre, gewinnt eine neue Mannschaft, er denkt, es gehe voran – doch die Außenwirkung wird nicht besser. Innen- und Außenwahrnehmung der Partei liegen weit auseinander. Auch die Unschuldigen werden für den Skandal bestraft. Frank Steffel, Spitzenkandidat der Berliner CDU 2001, war der Wahlkampfprügelknabe der Berliner Öffentlichkeit. Er erinnert sich noch genau an diese Zeit der Demütigung. Aus solchen Einsätzen für die Partei leiten manche Ansprüche ab. Die Nachfolger der Skandalverursacher, die neu anfangen wollten, geraten leichter in Streit als Politiker, die nach außen Kabinetts- oder Senatsdisziplin zeigen. In der Opposition sind dann Personalkrisen eher die Folge als in der Exekutive – auch wenn die Bundes-SPD gerade bewiesen hat, dass die Regel Ausnahmen hat. Die Berliner CDU, die als Senatspartei perfekt funktionierte, ist in der Opposition auf einen Personalkrisenrhythmus von zwei Jahren getaktet. Auf den Landesvorsitzenden Eberhard Diepgen, der im Bankenskandal sein Amt verlor, folgten Christoph Stölzl, Joachim Zeller und Ingo Schmitt. In der Fraktion verbrauchten sich Frank Steffel, Nico Zimmer und Friedbert Pflüger. Eins verbindet alle (außer Diepgen): Sie waren Kompromisskandidaten. Sie hatten eine Mehrheit, aber sie hatten nicht unbedingt ein Konzept.

Das aber ist auch nicht leicht zu formulieren in einer Stadt, die in verschiedene Milieus zerfallen ist: Altes Bürgertum, Kleinbürgertum, Jungbürgertum, Bildungsbürger, die Hauptstadtberufspolitikerszene mit allem, was an Stiftungen, Verbänden, Lobbyisten dazugehört. Daneben 500 000 Menschen, die vom Staat leben, weil der ihre Transferleistungen überweist. Frank Henkel, der designierte neue Landeschef, sagt jetzt immer, Sicherheit sei für ihn nicht nur innere, sondern auch soziale Sicherheit. Soll heißen: Die von der CDU haben ein Herz für Schwache. So hatte Eberhard Diepgen die CDU immer verstanden. Norbert Blüm grüßt von ganz weit her. Aber wer hört auf einen Frank Henkel in Zeiten, in denen Leute wie Oskar Lafontaine vorgeben, was hierzulande als „gerecht“ gilt?

WOFÜR STEHT DIE PARTEI IN BERLIN?

Für drei Milieus, mindestens. 12 500 Mitglieder hat die CDU Berlin. Da sind die West-Berliner Bildungsbürger, die in Dahlem oder Wilmersdorf leben, einträglichehrbare Berufe wie den des Rechtsanwalts, Arztes oder Universitätsprofessors ausüben, Bücher lesen, Kunst sammeln, Klassikradio hören und in die Deutsche Oper gehen. Dieses Bürgertum fühlte sich lange von der CDU nicht angesprochen. Jetzt könnte Henkels designierte Stellvertreterin Monika Grütters, Kultur- und Bildungsfachfrau mit Bundestagsmandat, die Sympathien dieses Milieus zurückgewinnen. Und nicht nur, weil sie etwas von Kultur versteht. Grütters zeigt eine Bürgerlichkeit, die mit den Umgangsformen beginnt, Bildungsehrgeiz umfasst und bei der Einstellung zur Kirche nicht endet.

Das zweite wichtige Milieu, das die Berliner CDU ansprach, hieß zu Diepgens und Landowskys Zeiten „kleine Leute“: Mittelständler, Angestellte und Beamte im öffentlichen Dienst, Busfahrer und Polizisten. Frank Henkel spricht jetzt immer von der „Kioskbesitzerin“, die ihrem Kiez verbunden ist. Damit versucht er, an Diepgen und Landowsky anzuknüpfen. Die Kioskbesitzerin steht für die Leute, die von ihrer Arbeit leben, dabei nicht reich werden und einigermaßen ordentliche Verhältnisse wollen.

Dazu kommt die Ost-Berliner CDU-Anhängerschaft – ein Milieu, das sogar vielen CDU-Funktionären rätselhaft erscheint. In den Ost-Bezirken kommt auf eine disparate und streitlustige Weise alles zusammen: Kleinbürger, Bildungsbürger, alteingesessene Hausbesitzer, die von der CDU die Wahrung ihrer Interessen gegen das Straßenausbaubeitragsgesetz erwarten, und Leute, die der CDU schon in DDR-Zeiten verbunden waren. Dann sind da noch diese Neu-Berliner, die sich so schwer tun mit der Berliner CDU: Junge Menschen aus Westdeutschland, bürgerliches Elternhaus, musische Bildung, gut erzogen, der Kirche verbunden, engagiert – und leicht frustriert von einer Partei, die nichts mehr von dem selbstverständlichen Machtanspruch hat, den sie von der CDU in Bonn oder Stuttgart kennen. Derart unterschiedliche Milieus machen eine Volkspartei aus – Probleme gibt es erst dann, wenn die Volkspartei keinen hat, der ihr für mehr als ein paar Monate den Weg weist. Die Berliner CDU hat sich im Frühjahr auf die Kampagne für den Flughafen Tempelhof konzentriert: ein Retro-Thema, das die West-Berliner bewegte. Geschichtsbewusste fanden das gut – doch aus juristischen Gründen stand nicht mal der CDU-Teil der Bundesregierung hinter der Kampagne. Der wirtschaftliche Mehrwert der Flughafen-Umnutzungsfreunde blieb fraglich. Jetzt unterstützt die CDU mit der Kampagne ProReli ein nach vorne gewandtes Thema. Es geht um Wahlfreiheit in der Schule, um Bildung. Die Partei spricht Eltern an, die die Berliner Schulpolitik skeptisch sehen und an der Berliner Schulqualität massive Zweifel haben. Freiheit statt Ideologie, Unterstützung für bürgerliche Eltern gegen eine Schulverwaltung und gegen Schulpolitiker, die mit Ideologie Schule machen – was für ein Aktionsfeld für eine kampfeslustige Partei. Für die CDU und ihre politische Kampfkraft ist bezeichnend, dass der Vormann der Kampagne, der Anwalt Christoph Lehmann, zu den politischen Opfern des abgetretenen CDU-Landeschefs Ingo Schmitt gehört. Schmitt hat Lehmanns Chancen auf ein Bundestagsmandat so früh wie möglich kaputt gemacht, höchstwahrscheinlich aus persönlichen Interessen. Das zeigt, wie manche Leute in der CDU mit Leuten umgehen, die mit der und für die CDU etwas werden wollten.

WIE INTRIGANT IST DIESE CDU?

Je schlechter die Umfragewerte und Wahlergebnisse, desto höher ist das Intrigenpotential in einer Partei. Das sogenannte Schmitt’sche Intrigantengesetz zeigt seine karrieregefährdende Wirkung vor allem, wenn sich Parteien in der Publikumsgunst abwärts bewegen. Friedbert Pflüger befürchtete in einer solchen Abwärtsphase sogar, die eigene Fraktion wolle ihn stürzen – und trat eine im übertragenen Sinne halsbrecherische Flucht nach vorne an. Er drohte dem mutmaßlichen Planer der Anti-Pflüger-Intrige mit einem direkten Angriff, kündigte die Kandidatur für den Landesvorsitz an – und entfesselte damit ein Politchaos, das ihn selbst das Amt kostete. Für die von Pflüger befürchtete Intrige gab es übrigens keine Beweise. Allerdings gibt es unter deren Amtsträgern in der CDU einige, die die Kunst der üblen Nachrede hoch entwickelt haben. Das hatte Pflüger zu spüren bekommen. Da gab es die Geschichte mit dem politischen Nudelessen für die Jamaika-Koalitionäre, das er bei sich zu Hause organisiert. 1500 Euro hatte der Abend gekostet, die Sache war der „Bild“ zugetragen worden. Oder die Kosten für den Fraktionsempfang in Tempelhof: noch so ein anonymer Angriff auf Pflügers Ansehen – ein Hinweis darauf, dass es Leute gab, die Pflüger beschädigen wollten. Monika Grütters, die nun mit Frank Henkel versuchen will, die Partei zu stabilisieren, kennt ebenfalls das Gefühl, dass Intrigen gegen ambitionierte Leute schon geplant werden, bevor die überhaupt ein Amt übernommen haben. Dagegen hilft nur ein weitverzweigtes Netz von Gesprächspartnern. Nur wer zuhört, kann sich verteidigen. Politiker wie Diepgen und Landowsky waren der Berliner CDU seismographisch verbunden. Pflüger fehlte dieses kommunikative Netz in die Partei hinein. Er stürzte, zugespitzt gesagt, über einen Irrtum.

WIE KANN DIE PARTEI IN BERLIN WIEDER NACH VORNE KOMMEN?

Indem sie durchlässig wird und diskussionsfreudiger. Die Grünen sind bürgerlich geworden, die CDU kann grüner werden im Sinne von streitlustig. Sie ist verzagt und flüchtet sich deshalb in äußerliche Korrektheit. Ihr fehlt der Mut, Frauen und Männer nach vorn zu lassen, denen Ideen wichtiger als Konventionen sind. Dann könnte sie interessant für Leute werden, die mit „bürgerlichen Tugenden“ etwas anfangen können und Konservatismus nicht mit Erstarrung übersetzen.

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