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Andachtsraum Tafel

© Imago

Gebetsräume in Schulen: Eine Glaubensfrage

Der Streit um muslimische Gebetsräume an Schulen ist nicht nur ein juristischer. Und er betrifft ganz Deutschland.

Von Sandra Dassler

Die Nachricht schockierte viele Berliner Schulleiter: Das Verwaltungsgericht hatte am Montag einem 14-jährigen Schüler muslimischen Glaubens das Recht zugesprochen, während der Unterrichtspausen auf dem Gelände des Diesterweg- Gymnasiums in Wedding sein Mittagsgebet zu sprechen. Zwar ist der Beschluss ein vorläufiger, aber Juristen rechnen damit, dass das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren genauso entscheidet.

Lehrer, Gewerkschaftsfunktionäre und viele Politiker sehen durch den Gerichtsbeschluss das Neutralitätsgebot der Schulen verletzt. Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Rose-Marie Seggelke, befürchtet Unfrieden, besonders an Schulen in sozialen Brennpunkten. Der bildungspolitische Sprecher der Berliner Grünen, Özcan Mutlu, bezeichnet die Gerichtsentscheidung als „Gift für die Integration“. Der Humanistische Verband teilt mit, man sei „entsetzt“. Lediglich die Vertreter von FDP und Linken reagieren zurückhaltend. Sie sind der Meinung, dass der Beschluss keineswegs die Einrichtung von Gebetsräumen verlangt. Doch die Verwaltungsrichter weisen in der Begründung ihrer Entscheidung auch ausdrücklich darauf hin, dass „die Schule verpflichtet ist, die negative Bekenntnisfreiheit der anderen Schüler zu gewährleisten“. Das heißt, nicht-muslimische Schüler dürfen sich durch das Beten der anderen nicht beeinträchtigt fühlen.

Dies aber kann in der Praxis wahrscheinlich nur gewährleistet werden, wenn die Betenden den Blicken anderer entzogen sind, sich also in einen nicht für jeden zugänglichen Raum zurückziehen können. Der Konflikt am Diesterweg- Gymnasium war ja überhaupt erst entstanden, weil der 14-jährige Kläger gemeinsam mit sieben Glaubensbrüdern sein Gebet auf dem Schulflur kniend verrichtet und andere Schüler sich darüber mokiert hatten.

Die Schulleiter befürchten nun einen solchen organisatorischen Aufwand, dass der Schulbetrieb nicht mehr reibungslos möglich ist. Der Vorsitzende der Vereinigung Berliner Schulleiter in der GEW, Wolfgang Harnischfeger, fragt: „Sollen wir die Turnhalle räumen, wenn in Neukölln 400 muslimische Schüler beten wollen?“ Außerdem müsse man dann auch anderen Religionsgemeinschaften Räume zur Verfügung stellen.

Für Ulrich Battis sind das alles vorgeschobene Argumente. „In Wahrheit sind muslimische Gebetsräume an Schulen doch politisch nicht erwünscht“, sagt der Verwaltungsrechtsexperte an der Humboldt-Universität: „Und sie wirken sicher nicht integrationsfördernd. Trotzdem halte ich die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts für richtig. Das Grundrecht der Religionsfreiheit ist höher zu bewerten als politische, kulturelle oder organisatorische Fragen.“

Die Schulen müssten sich eben etwas einfallen lassen, um das Beten zu ermöglichen, meint Battis. Er ist überzeugt, dass die Klage auch im Hauptsacheverfahren durchkommen wird – letztlich auch beim Bundesverfassungsgericht. Das einzige Argument dagegen wäre, wenn der Schulbetrieb und damit die Einhaltung der Schulpflicht trotz gehöriger Anstrengungen tatsächlich nicht mehr möglich wäre.

Bislang hat es in Deutschland noch keine Klagen wie die des 14-jährigen Yunus M. gegeben. Entweder einigte man sich gütlich oder überließ den muslimischen Schülern einen Raum, ohne dies an die große Glocke zu hängen. Der nun drohende Präzedenzfall in Berlin hätte also vermutlich auch auf die anderen Bundesländer Auswirkungen.

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