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Verdrossenheit: Europa interessiert Berliner Jungwähler nicht

Die erschütterndste Zahl nach der Europawahl war für viele Wahlforscher und Statistiker die unglaublich niedrige Wahlbeteiligung in Berlin: Nur 35,1 Prozent der Berliner kamen zur Abstimmung, von den 18- bis 21-Jährigen beteiligten sich sogar nur 23,4 Prozent. Die Europaverdrossenheit unter den Jungwählern scheint groß.

Von Sabine Beikler

Die Berliner Innenstadt –  beinahe eine grüne Insel, die im Süden über Schöneberg bis zur Steglitzer Schloßstraße reicht, im Westen noch Charlottenburg einnimmt und auch Nord-Neukölln umfasst. So stellt sich das Wahlergebnis der Europawahl dar, wenn man es (siehe Grafik) auf die 78 Abgeordnetenhaus-Wahlkreise umrechnet. Westlich der Insel das Schwarze Meer der CDU, das über den alten Westen hinaus auch Teile Pankows überspült. Östlich das Rote Meer der Linken, zu dem auf der grünen Insel noch ein roter See gehört: ehemaliges Ost-Berliner Terrain in der City.

Das bunte Berlin-Puzzle zeigt die aktuelle Wählergunst. Ob es den Wählerwillen aller Berliner repräsentiert, ist wegen der unglaublich niedrigen Wahlbeteiligung unklar. Nur 35,1 Prozent der Wähler, das waren 869 000 von 2,47 Millionen Wahlberechtigten, gaben ihre Stimme ab. 2004 lag die Wahlbeteiligung bei 38,6 Prozent.Vor allem die Jungwähler zwischen 18 und 21 Jahren gingen am Sonntag nicht zur Wahl. Konnten vor fünf Jahren 32,4 Prozent der Jungwähler mobilisiert werden, waren es nur noch 23,6 Prozent. „Das ist sehr besorgniserregend“, sagte Geert Baasen, Leiter der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters.

Zwei Drittel der Wähler würden sich nicht für Europa interessieren. „Und das kann nicht in Brüssel gelöst werden, sondern ist die Aufgabe der Parteien hierzulande. Neben der allgemeinen Politikverdrossenheit fehlen Informationen und die Kommunikation von Inhalten“, sagt Tanja Börzel, Politikwissenschaftlerin an der Freien Universität.

Das „desaströse“ Abschneiden der SPD mit 18,8 Prozent führt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstitutes Forsa, darauf zurück, dass die SPD ihre „regionale Verankerung“ verloren habe. Die SPD sei keine Großstadtpartei mehr. Die potenziellen SPD-Wähler hätten nicht mobilisiert werden können. Die CDU blieb wie 2004 stärkste Partei, hat aber 2,1 Prozentpunkte verloren. Ihr bestes Ergebnis erzielte die Union in Reinickendorf, gefolgt von Spandau und Steglitz-Zehlendorf. In den Bezirken im Ostteil erhielt die CDU auch bei dieser Europawahl weit unter 20 Prozent. Die Verluste der CDU kamen aber im Westteil der Stadt zustande. Dort sank ihr Stimmanteil von 33,3 Prozent (2004) auf nur noch 29,9 Prozent.

Die Grünen konnten ihre Position als zweitstärkste Kraft hinter der CDU wie 2004 um 0,8 Prozentpunkte auf 23,6 Prozent ausbauen. Der Anstieg wurde fast nur im Ostteil der Stadt erzielt, wo die Partei ihren Stimmenanteil steigern konnte. Als einzige Partei gewannen die Grünen in zwei Abgeordnetenhauswahlkreisen in Friedrichshain-Kreuzberg die absolute Stimmenmehrheit. In weiteren sieben Wahlkreisen im Zentrum erzielten sie über 40 Prozent. „Trotzdem sollten die grünen Hoffnungen für die Bundestagswahl nicht in den Himmel wachsen“, warnte der Parteienforscher Richard Stöss. Diese Wahl sei mit der Bundestagswahl nicht zu vergleichen.

Die Linke erzielte mit 14,7 Prozent ein etwas höheres Ergebnis als 2004. Aber ihr Stimmenanteil sank in der traditionellen Wählerschaft im Ostteil der Stadt, während er im Westteil stieg. Den höchsten Verlust musste die Linke in Pankow hinnehmen, den höchsten Gewinn erzielte sie in Neukölln. Die FDP erzielte mit 8,7 Prozent in Berlin ihr bestes Ergebnis bei einer Europawahl seit 1979. Ihre höchsten Ergebnisse erzielten die Liberalen in Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf. Dort erlangten sie in zwei Abgeordnetenhauswahlkreisen (Grunewald und Nikolassee) sogar über 15 Prozent. In Lichtenberg und Friedrichshain-Kreuzberg schnitt die FDP am schlechtesten ab.

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