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Berlin: Lange Nacht der Museen: Auf dem Schlachtfeld der Kultur

Wer traut sich, einem Bären ins Maul zu fassen? Über einen Löwenkopf zu streichen?

Wer traut sich, einem Bären ins Maul zu fassen? Über einen Löwenkopf zu streichen? Den Schädel eines Nashorns zu kitzeln? In der Reisegruppe, die in der langen Nacht der Museen in drei VIP-Bussen unterwegs war, fand sich mancher erprobte Veteran auf dem Schlachtfeld der Kultur. Wo Mutproben zum Alltag gehören, ist es allemal ein Spaß, die Schätze in den hinteren Kammern des Naturkundemuseums zu betrachten; sie leben ja nicht mehr, können also gefahrlos angefasst werden. Mit vom Aussterben bedrohter Kultur kennen sich Christoph Stölzl, Volker Hassemer und Steffen Reiche aus. Auch der neue Kultursenator Thomas Flierl, etwas blass, mit grauem Schal und eher die Säule im Rücken als die Mitte des Raumes suchend, gesellte sich dazu.

Ganz am Anfang in der Neuen Nationalgalerie erinnerte sich Volker Hassemer an die furchtbaren Widerstände, die er bei vielen Museumschefs überwinden musste, um die lange Nacht einzuführen. Während Landwirtschaftsministerin Renate Künast auf dem geheiligten Museumsboden (an)mutig Tango mit einem Fremden tanzte, muss ein Vertreter der Hochkultur noch mal das Wort "Zirkus" in den Mund genommen haben. Im Naturkundemuseum wunderten sich Erstgäste nicht nur über die erstaunlichen Sammlungen, die zum Beispiel 120 000 Käferarten umfassen, den Papagei Alexander von Humboldts und jede Menge Schätze mehr, die das Haus zum drittgrößten seiner Art weltweit machen. Auch die schimmelnden Decken und die vom Zahn der Zeit zerfressenen Wände provozierten Kommentare. "Man hätte es unbedingt 1990 zum Bund geben müssen", sagte Christoph Stölzl. In New York sehe man doch, was man alles daraus machen könnte. Für FU-Chef Gaehtgens wäre das ganz klar "eine nationale Aufgabe". Man müsste das Haus mehr für Veranstaltungen nützen und versuche, potenzielle Geldgeber auf Dauer an das Haus zu binden, überlegte Volker Hassemer nicht zum ersten Mal. Einig waren sich die erprobten Kämpfer allerdings in der Einsicht: Egal, wie viel Weltruhm sich aus dieser einmaligen Sammlung ziehen ließe, wer übernimmt in diesen Zeiten schon eine Einrichtung, die nicht weniger als mindestens 100, eher 200 Millionen Euro an Investitionen verlangt? Richtig. Niemand.

Trotz der immer wieder hervorbrechenden Könnte-seins und Hätte-sein-sollens war es ein vergnüglicher Abend. Als einer der drei Sonderbusse kurzfristig liegen blieb, kümmerte sich Volker Hassemer tatkräftig um den Transfer der Weinvorräte. Es ging weiter durch die neue Waffenhalle des Märkischen Museums und schließlich zum Museum Plagiarius in die Kulturbrauerei. Thomas Flierl, der sich als Hüter einer Kakteenkultur sieht ("wenig Wasser, viele Blüten"), war als Sentor zum ersten Mal im VIP-Bus unterwegs und vermisste schon die Freiheit, individuell Ziele anzusteuern, "die man noch nicht kennt." Seine Freundin Carola Freundl hätte sich zum Beispiel manches in Dahlem gern noch mal angesehen. Obwohl Flierl nicht so umschwirrt ist wie manche seiner Vorgänger, gab es doch interessante Annäherungen an den dunkelroten Kultursenator zu beobachten. Zum Beispiel die mit der Eingangsbemerkung: "Ich galt auch mal als schrecklich links."

Beim abschließenden nachmitternächtlichen Dinner im Sorat Hotel Spreebogen erzählte der Senator von dem, was ihm besonders am Herzen liegt: die Standortsicherung der Berlinischen Galerie. Derweil die Freundin einwandte: "Aber die Staatsoper!" Und das Naturkundemuseum? "Das", sagte er leichthin, "ist Aufgabe des Bundes." Da konnte man nur froh sein, dass die Herren Stölzl, Hassemer und Gaehtgens zu weit wegsaßen, um mit den Augen zu rollen.

Es ist schon fast zwei Uhr geworden, da erinnert sich Carola Freundl, wie sie im Naturkundemuseum Soziologieseminare absolviert hat. Thomas Flierl hat dort sogar mit langen Nächten schon früh Erfahrungen gesammelt. In Studententagen jobbte er als Nachtwächter. Vielleicht darf das auch als eine Art Mutprobe zählen. Wenn in einer Nacht kein Horizont in Sicht ist, kann sie ja so unheimlich sein, wie das gefräßige Maul eines Bären.

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