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12 000 Fans kamen zum WM-Finale des Computerspiels "League of Legends" in die Mercedes-Benz-Arena in Friedrichshain.

© Paul Zinken/dpa

"League of Legends"-WM in Berlin: Die Sportveranstaltung der Zukunft

12 000 Fans fiebern am Wochenende mit, als junge Koreaner virtuelle Monster erlegen: Das WM-Finale der „League of Legends“ am Ostbahnhof erinnert an ein fröhliches Sportfest.

Von Julia Prosinger

Faker hat den Flash gefailt. Verstehen Sie? Riesenblamage, 12 000 Menschen lachen. Und auf Twitter und Reddit machen sie schon Witze.

Sie verstehen nichts? Also anders: Der Lionel Messi des E-Sports, des Computerspiels als Zuschauerattraktion, hat gerade einen Elfer verschossen. Und das vor Millionen Menschen, die im Livestream verfolgen, was gerade in der Mercedes-Benz-Arena am Ostbahnhof passiert. Superstar Faker, ein 19-jähriger Koreaner, wollte sich mit einem alltäglichen Trick, dem Flash, aus einer brenzligen Situation herausbeamen und sprang gegen eine Festungsmauer. Ziemlich peinlich.

Über die Warschauer Brücke eilen an diesem Samstagvormittag Männer in grünen Samthüten und Frauen im Bikini. Aus manchen Hintern ragen neun weiße Fuchsschwänze. Das hat nichts mit Halloween zu tun, sondern mit Berlins verborgenster Weltmeisterschaft: dem Finale des Computerspiels „League of Legends“. Oder wussten Sie davon?

Die Fans weltweit schon, sie brauchten nur 90 Sekunden, um alle Tickets aufzukaufen. Kein anderes Videospiel ist annähernd so erfolgreich. Rund 30 Millionen Menschen kämpfen täglich in einer Fantasielandschaft aus Schilf und Steinen gegen Drachen, Armeen von Minimonstern und ein fünfköpfiges Kontrahenten-Team.

200 Euro hat Louison Druelle für sein Ticket bezahlt

Louison Druelle aus Lille hat sein Ticket eine Millisekunde zu spät in den Warenkorb gelegt, da hatte sich die Seite schon aufgehängt, zu viel Andrang. Er kaufte eine Eintrittskarte für 200 Euro auf Ebay, einen Flug nach Berlin, eine Jacke mit dem Logo der Weltmeisterschaft. Beim Halbfinale in Brüssel war er auch.

Druelle, 22, betritt jetzt die Arena, ein blau-rotes Lichtermeer, der Boden bebt vor Bass, von seinem Platz blickt er auf den silbern glänzenden Pokal, auf der Bühne stehen sich jeweils fünf Computer gegenüber. Hier werden gleich die Profis Hand an die Mäuse legen.

Druelle sagt, dass er aufgeregt ist, und selbst wer nicht versteht, warum Fakers Flash peinlich war, wer jetzt in der „Pick&Ban“-Phase nicht kapiert, warum die Spieler welche Figuren auswählen – die Teamzusammensetzung kann entscheidend sein, verschiedene Figuren können verschiedene Tricks – auf den springt Druelles Herzklopfen über. Nur dem Platzanweiser ist die Anzahl der getöteten Drachen egal. Er wünscht sich, bei all den stampfenden, jubelnden, Fäuste schwingenden jungen Männern im Raum, dass endlich wieder Westernhagen-Konzert ist.

Von seiner Freundin hat er sich getrennt, keine Zeit neben dem Game

„League of Legends“, LoL, ist gratis. Im Unterschied zu anderen Computerspielen bezahlt man hier nur für die Schönheit seiner Figuren, mit denen man durchs Schilf jagt. Louison Druelle hat in den vergangenen Jahren seiner Fuchsfrau Ahri mit 300 Euro ein paar neue Kleider gekauft. Skins, Häute, sagen Kenner dazu. Der LoL-Erfinder „Riot Games“ achtet streng darauf, dass es nicht möglich ist, sich von anderen, die mehr Zeit haben, in eine höhere Liga spielen zu lassen.

Wenn Druelle seinen Spielernamen auf einer Seite eingibt, die selbstironisch „Wasted on LoL“ heißt, erfährt er, wie viel Zeit er bereits in dem Universum verschwendet hat: Es sind genau 250 Tage.

Louison Druelle (rechts) ist extra aus Lille/Frankreich angereist und hat 200 Euro für sein Ticket bezahlt.

© Julia Prosinger

Louison Druelle hat sein Leben um LoL herum gebaut, ist extra ein paar Häuser entfernt von seinem Arbeitsplatz gezogen. Tagsüber repariert er Kaffeemaschinen, ab 18 Uhr spielt er sich bis ein Uhr nachts durchs Schilf. Im richtigen Leben, sagt er, habe er kaum Freunde. Von seiner Freundin hat er sich getrennt, es blieb keine Zeit neben dem Game.

Die Europäer sind alle ausgeschieden, zwei koreanische Teams im Finale

Manchmal, wenn er die Nacht etwas entspannter angehen will, schaut er über dem Abendessen eine Runde Twitch TV, da kommentieren die Béla Réthys der LoL-Welt die Spielzüge der Profis. Gut 50 von ihnen kämpften in den vergangenen acht Monaten in Gruppenphase und Finalstufen um die Weltmeisterschaft. Die europäischen Teams, die Druelle unterstützt, sind im Halbfinale ausgeschieden. Übrig blieben, wie so oft, zwei koreanische: das strategisch starke Team mit dem Superstar Faker, SKTelecom T1, das bereits 2013 die WM gewann, und die chaotischeren KOO Tigers.

Anderswo würde solch eine Testosteronballung irgendwann eskalieren, hier aber rempelt an diesem Wochenende keiner. Anerkennendes Raunen, wenn die gegnerische Mannschaft einen schönen Zug ausführt. Das beste Team der Welt, Fakers Team, hat inzwischen zwei Spiele gewonnen, als sich die gesamte Halle, und mit ihr Louison, entscheidet, den Underdog zu unterstützen. „Koo Koo Koo“, schallt es dumpf durch die Ränge. Aggression gibt’s nur im Spiel. Denn, und nun ist das dritte Match eröffnet, darum geht es: den gegnerischen Nexus zu zerstören, ein blaues Kristall, das von zwei Türmen beschützt wird.

Dazu kämpfen die jeweils fünf pausbäckigen Koreaner auf festgelegten Positionen, es gibt Stürmer, Verteidiger, ein Mittelfeld, sogar eine Art Libero. Durchs Töten kleiner Monster häuft jede Gruppe Gold an, das sie in einem Shop für Schwerter mit Namen wie „Bludürster“ oder Schutzschilde investieren kann. Je nachdem, welche Militärausgaben die gegnerische Gruppe so tätigt.

"LoL ist meine Droge, doch ich will davon nicht loskommen"

Louison Druelle diskutiert all diese Entscheidungen mit anderen Fans. Viele von ihnen haben ihr Englisch durch das Spiel gelernt. Sie kennen die Worte für Amoklauf oder Panzertum, aber können nicht beschreiben, was sie beruflich machen. Das ist ihnen auch nicht wichtig. „Ich weiß, dass LoL meine Droge ist. Aber nicht wie Heroin. Ich will davon nicht loskommen“, sagt Druelle. Muss er das denn?

Beim Berliner Basketball rennt ein Plüschalbatross umher, beim Kölner Fußball ein echter Geißbock. Wie neu sind die verkleideten Fantasiefiguren wirklich, wie fremd ist das alles? Stellen wir uns vor, es ist 2030. Familien strömen ins Stadion, Schal und Trikot in den Farben ihrer Lieblingsmannschaft, in der Schlange vor der Würstchenbude debattieren sie die neuesten Spielertransfers. E-Gaming könnte der Fußball der Zukunft werden, und wer einen Tag mit Louison Druelle verbringt, findet: Das wäre nicht mal so schlimm.

In den vergangenen Jahren haben sich die E-Sportmacher Experten aus dem traditionellem Sport geholt, um zu lernen, welche Spielausschnitte man zeigt, damit der Zuschauer möglichst viel vom Geschehen verfolgen kann, wie oft man in der Wiederholung einblenden muss, dass gerade „First Blood“ geflossen ist (wofür es besonders viele Punkte gibt). Sogar Sportpsychologen wurden eingestellt, um die sehr jungen Spieler wie Faker zu betreuen. Oft leben sie in WGs, weit weg von Eltern und Freunden. Mit Mitte 20 ist Schluss, dann reagiert das Gehirn nicht mehr schnell genug, dann klemmen die Finger. Manche Spieler, ihre ausdruckslosen Mienen verraten nichts über ihre teuflischen Tastenkombinationen, wärmen gerade ihre Muskeln mit kleinen Kissen, andere lassen Stress an Knautschbällen ab.

Kurz bevor Faker praktisch im Alleingang das letzte Match gewinnt und damit den Titel und eine Million Dollar für sein Team, erklärt eine Pommesverkäuferin der anderen den Spielstand. 2030 ist nah.

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