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Berlin: Leben im Minus

Jeder siebte Haushalt kann seine Rechnungen nicht bezahlen. In Neukölln haben die Menschen die meisten finanziellen Probleme

Die Verschuldung in Berlin nimmt weiter zu. Inzwischen gilt jeder siebte Haushalt in der Stadt als überschuldet. Wie aus dem jetzt vorgelegten Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervorgeht, können 15,2 Prozent der Berliner Haushalte ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Im Vorjahr waren es 14,8 Prozent. Damit ist die Quote in Berlin weitaus höher als im Bundesdurchschnitt (10,7 Prozent). Rund 430 000 Menschen sind davon betroffen. Auf Länderebene schneidet lediglich Bremen geringfügig schlechter ab, dort liegt die Überschuldungsquote bei 15,3 Prozent. Die wenigsten Schuldenprobleme gibt es in Bayern (7,7 Prozent).

Besonders dramatisch ist die Situation in Neukölln (21,7 Prozent). Mehr als jeder fünfte Haushalt kann dort seine Rechnungen nicht bezahlen. Es folgen Mitte (19,9 Prozent) und Friedrichshain-Kreuzberg (17,18 Prozent). Creditreform spricht von „kulturellen und politischen Problembezirken“ mit überdurchschnittlichen Schuldenzuwächsen und bezeichnet diese als „Schuldenghettos“. Betroffen sind vor allem junge Menschen und Haushalte mit Kindern. Die wenigsten Schuldner gibt es in Steglitz-Zehlendorf (9,76 Prozent). In Reinickendorf und Treptow-Köpenick gibt es am Stadtrand ebenfalls Regionen mit sehr niedrigen Anteilen. Nach Angaben von Creditreform nimmt auch die Zahl der Privatinsolvenzen weiter zu. Mit dem Verfahren können sich Haushalte von ihren Schulden befreien. Im ersten Halbjahr haben bereits 3540 Haushalte von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht (siehe Kasten).

Die Senatssozialverwaltung bezeichnet die hohe Arbeitslosigkeit in der Stadt als Hauptursache für die Schuldenproblematik. Auch wenn sie im letzten Jahr rückläufig war, liegt sie mit einer Quote von 16,1 Prozent immer noch weiter über dem Bundesdurchschnitt. Hinzu komme, dass in Berlin der Anteil der Alleinerziehenden mit 44 Prozent ebenfalls wesentlich höher sei. Sprecherin Regina Kneiding verweist darauf, dass der Senat aufgrund dieser schwierigen Situation die Finanzierung der 21 Schuldnerberatungsstellen in der Stadt gesichert und im vergangenen Jahr sogar aufgestockt habe. 5,1 Millionen Euro stehen dafür im Etat des Landes zur Verfügung. Die Beratungsstellen merken den Anstieg der Haushalte mit finanziellen Problemen. „Es brummt bei uns“, sagt Peter Zwegat von der Friedrichshainer Beratungsstelle Dilab. „Der Anstieg ist seit zwei Jahren enorm.“ Eine der Ursachen sei auch die Einführung vom Arbeitslosengeld II Anfang 2005. In Berlin leben rund 330 000 Haushalte von Leistungen nach Hartz IV. Zwegat beobachtet, dass auch überschuldete Haushalte von aggressiver Werbung wie jetzt in der Vorweihnachtszeit weiter in die Schuldenfalle getrieben werden. Und die Erhöhung der Mehrwertsteuer im kommenden Jahr veranlasse die Menschen ebenfalls zu Käufen, die sie sich nicht leisten könnten.

Für den jährlichen Schuldneratlas wertet Creditreform unter anderem die Zahlen von Privatinsolvenzen, eidesstattliche Versicherungen, Inkassoverfahren oder Haftanordnungen im Zusammenhang mit Überschuldung aus. Auf diese Erhebungen, die bis auf sehr kleine Regionen heruntergebrochen werden, greifen Unternehmen unter anderem bei Standortanalysen für geplante Investitionen zurück. Aber auch Versandhäuser berücksichtigen die Angaben über Gebiete, die als finanzschwach gelten. Manche von ihnen liefern etwa nicht in Gegenden, wo die Zahl der überschuldeten Haushalte überdurchschnittlich hoch ist.

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