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Ein Flugzeug im Anflug auf den Flughafen Tegel. Für die Anwohner ist der Lärm eine Belastung.

© dpa

Anwohner am Berliner Flughafen Tegel: Leben in der Lärmschneise

Schäden am Haus, Angst vor einem Flugzeugabsturz und der tägliche Krach. Die Anwohner am Flughafen Tegel warten auf die immer wieder verschobene Schließung.

Ihr größter Wunsch wäre Gewissheit. Endlich eine verlässliche Aussage. Doch die hat es schon lange nicht mehr gegeben, sagen die Bewohner der Siemens-Siedlung am Hohenzollernkanal, direkt in der Einflugschneise des Flughafens Tegel. Von Spandau über Reinickendorf bis nach Pankow sehnen sich die Anwohner nach Ruhe. Es geht um rund 300.000 Menschen, die darauf warten, dass Tegel endlich geschlossen wird.

Das leise Dröhnen kündigt ein Flugzeug an. Heute ist Westwind, da ziehen die Flieger nach dem Start über die Siemens-Siedlung, wo jeder Straße einfach ein Buchstabe zugeordnet ist. Marion Honekamp, Kati Lüttke und Wolfgang Lehmann sind zu Familie Schulze in die Straße X gekommen. Zu fünft sitzen sie am Tisch. Alle paar Minuten ist das Dröhnen zu hören. „Sie müssten mal bei Ostwind kommen, wenn die Maschinen landen“, sagen sie.

Es ist nicht nur der Lärm der Flugzeuge, es sind auch die Lichter in der Nacht, es ist der Kerosingeruch, der vom Flughafen herüberweht. Hinzu kommen die Dachschäden durch sogenannte Wirbelschlepper, also Luftverwirbelungen hinter den Flugzeugen. Bei Familie Schulze liegen noch die Ziegel im Hof. Vor Kurzem hatte wieder ein Flugzeug ihr Dach abgedeckt. Am Kurt-Schumacher-Platz soll das auch gelegentlich passieren, ebenso in Pankow.

Heute fliegen mehr Flugzeuge über die Häuser als je vorher

In der Bürgerinitiative „Tegel endlich schließen“ haben sich vor allem Anwohner aus Reinickendorf, Pankow, Spandau und Wedding zusammmengeschlossen. Auch die Siedlung am Hohenzollernkanal ist dabei. Nach der Nicht-Schließung waren Reinickendorfer vor Gericht gezogen, sie wollten besseren Schallschutz. Das Gericht wies die Klage ab. An dem Tisch am Hohenzollernkanal ist Resignation zu spüren. Irgendwie haben sie alle aufgegeben.

„Die fragen uns immer: Wieso sind Sie hierher gezogen?“, erzählt Honekamp. „Wie hergezogen?, frage ich dann zurück. Ich bin hier geboren.“ Auch Kati Lüttke findet diese Frage überflüssig. „Als wir vor 15 Jahren das Haus gekauft haben, hat man den Flughafen kaum bemerkt.“

Heute fliegen mehr Flugzeuge denn je über ihre Häuser. Im September gab es knapp 17.000 Starts und Landungen. Die gefährlichen Wirbelschlepper entstehen nur bei Landungen – mittlerweile erkennen die Anwohner sie schon am Geräusch. Früher mussten sie die Schäden selbst beseitigen, erzählen sie. Mittlerweile schickt der Flughafen einen Dachdecker und übernimmt die Kosten. „Wir sind ja zufrieden, dass wir nicht mehr selbst auf das Dach müssen“, sagt Marion Honekamp.

Flugzeuglärm kann gesundheitliche Schäden hervorrufen

Kati Lüttke findet den Lärm am schlimmsten. Der Schallschutz in den Häusern ist veraltet. Außerdem haben sie und ihr Mann 2012 neue Fenster einbauen lassen, ohne Schallschutz. Bei einer Schließung des Flughafens hätten sie den ja nicht mehr gebraucht. „Die fliegen uns direkt durchs Bett“, sagt sie. Nachbarin Petra Schulze stimmt zu: „Ab halb sieben sind wir wach.“

Wissenschaftler der Universität Mainz haben nachgewiesen, dass Flugzeuglärm gesundheitliche Schäden hervorrufen kann: Bluthochdruck, Herzinfarkte, auch Schlaganfälle. „Einen Herzinfarkt hatten hier schon viele“, sagt Petra Schulze. „Und nervös sind wir alle.“ Schlafstörungen seien auch häufig. Vor allem morgens und abends starten und landen besonders viele Flieger.

„Die Abstände werden immer kürzer“, sagt Wolfgang Lehmann. „Gleichzeitig wird die Gefahr größer.“ Oft habe er schon erlebt, dass Maschinen wieder durchstarten mussten, erzählt er. Sie alle haben Angst, dass mal ein Flugzeug abstürzt. „Du ziehst automatisch den Kopf ein, weil du Angst hast, dass etwas passiert“, sagt Lehmann.

Als im Jahr 2010 der Vulkan Eyjafjallajökull ausbrach und den Flugverkehr lahmlegte, lebten sie wie in einer anderen Welt, erinnert sich die Runde. Mit der Schließung Tegels sollte dauerhaft Ruhe einkehren. Ein großes Nachbarschaftsfest war bereits geplant.

Im Januar 2017 soll der Eröffnungstermin des Hauptstadtflughafens bekannt gegeben werden. Ein halbes Jahr nach der Eröffnung muss Tegel schließen. Wird dann eine neue Party angesetzt? „Wir sind spontan“, sagt Petra Schulze und alle lachen. An Termine glauben sie in der Siedlung am Hohenzollernkanal schon lange nicht mehr.

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