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Berlin: „Lehrer könnten Aufgaben abgeben – an Erzieher und Honorarkräfte“

Bildungsexpertin Sybille Volkholz findet, im Schulbetrieb kann durchaus gespart werden – aber woanders, als der Finanzsenator glaubt

Sie haben vor einem Jahr eine „organisierte Verantwortungslosigkeit“ in der Berliner Schule diagnostiziert. Dem Finanzsenator gefällt dieses Zitat, weil er meint, dass Berlin zwar viele Lehrerstunden in die Schule steckt, aber zu wenig Leistung zurückbekommt. Sind Sie gern Sarrazins Kronzeugin?

Ich stehe zu meiner Aussage, denn in Berlin gibt es auf allen Ebenen zu wenig Verantwortung für effektiven und sinnvollen Einsatz der Ressourcen , das heißt für Zeit und Geld.

Ist es sinnvoll, dass Berlin 14 Prozent mehr Lehrer hat als der Bundesschnitt? Das sind rund 3000 Lehrerstellen – also Mehrkosten von jährlich rund 150 Millionen Euro.

Stadtstaaten wie Berlin kann man nicht mit Flächenstaaten vergleichen. Das wird deutlich, wenn man etwa den unterschiedlichen Ausländeranteil betrachtet. In Berlin fließen über 1000 Lehrerstellen in die Ausländerförderung. Man kann aber darüber streiten, ob alle Mittel optimal eingesetzt werden.

Inwiefern?

Viele Aufgaben in Schulen könnten Sozialpädagogen, Erzieher oder Honorarkräfte übernehmen, die preiswerter sind. Beim Lesetraining etwa könnten viel häufiger Mütter hinzugezogen werden.

Herr Sarrazin plädiert für eine ganztägige Anwesenheit der Lehrer in der Schule, damit man für die Nachmittagsbetreuung kein zusätzliches Personal braucht. Ist das zumutbar?

Sicherlich. Anderswo geht das ja auch. In Schweden etwa sind die Lehrer sieben Stunden in der Schule. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Präsenzzeit nicht ausschließlich den Schülern zur Verfügung steht. Die Lehrer sollten einen Teil der Zeit nutzen, um mit Kollegen gemeinsam Unterricht vorzubereiten. Vieles bei uns ist uneffektiv, weil jeder allein vor sich hin arbeitet.

Aber in den Schulen ist nicht genug Platz für die Nachmittagsarbeit des ganzen Kollegiums.

In Schweden teilen sich sieben oder acht Lehrer einen Klassenraum. Angesichts des Schülerrückgangs in Berlin wird es möglich sein, freie Räume zu finden.

Aber wann sollen die Lehrer die vielen Klassenarbeiten korrigieren, wenn sie fast den ganzen Tag in der Schule sind?

Die Zahl der Klausuren ist kein Dogma. Es gibt andere Formen von Leistungsmessung .

Wie verträgt sich das denn mit der neuen Tendenz zur Qualitätskontrolle?

Zur Qualitätskontrolle brauche ich nicht so viele Klausuren. Es können weniger geschrieben werden, aber es sollten Vergleichsarbeiten darunter sein. Das bedeutet, dass man innerhalb einer Schule oder sogar berlinweit identische Arbeiten schreibt. So erfahre ich wirklich etwas über den Leistungsstand.

Würden Sie beim Lehrergehalt sparen, um mehr Geld für anderes übrig zu haben?

Abstriche beim Urlaubs und Weihnachtsgeld hielte ich für vertretbar. Mit den Gehältern generell runterzugehen, birgt aber die Gefahr, dass auch die Wertschätzung für den Lehrerberuf sinkt. Nein, ich würde die Höhe der Gehälter beibehalten. Allerdings gilt: Wenn Lehrer so viel wie im mittleren Management verdienen, müssen sie auch die Verantwortung und Rechenschaftspflicht für die Leistung der Schüler übernehmen.

Tun sie das nicht?

Nicht in ausreichendem Maße. Viele Lehrer haben keinen Überblick, was ihre Schüler tatsächlich gelernt haben. Viele Schulen wissen nicht, wie viele Schüler ohne Abschluss abgehen, wie hoch die Sitzenbleiberquote ist, aber auch nicht, wie erfolgreich ihre Schüler in den weiterführenden Einrichtungen sind. Das muss sich ändern .

Das Interview führte Susanne Vieth–Entus

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