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Berlin: Leise Töne

Fast 100 Jahre West-Berliner Geschichte: Die traditionsreiche Musikalienhandlung Riedel ist insolvent

Hans-Wolfgang Riedel, der Chef des Ladens, gibt die Hoffnung nicht auf. „Bislang sind wir voll arbeitsfähig“, sagt er, „es ist noch nicht zu spät“. Doch die Musikalienhandlung Riedel in der Uhlandstraße 38 – Berlins traditionsreichstes Musikgeschäft mit 97-jähriger Geschichte – ist insolvent. Findet sich nicht bald ein Kaufinteressent, muss der Ausverkauf der Noten und Instrumente beginnen. Dem Personal hat der Insolvenzverwalter bereits zum Februar gekündigt. Bis Mitte März wolle der Insolvenzverwalter das Verfahren abschließen, sagt Riedel.

Der 56-Jährige führt die von seinem Großvater gegründete Musikalienhandlung in dritter Generation, außer ihm gibt es fünf Mitarbeiter. „In den besten Zeiten waren es mal 34“, erzählt Riedel. Der Grund für die Insolvenz ist für ihn klar: Die Investitionen in die ehemalige Filiale im Konzerthaus am Gendarmenmarkt hätten zu einer halben Million Euro Verlust geführt. Zwar sei es gelungen, den Schuldenberg abzubauen, aber noch immer gebe es ein Minus von mehr als 100 000 Euro. Und dies, obwohl mehrere Familienmitglieder private Ersparnisse für den Betrieb geopfert hätten.

Bis jetzt wussten nur die Mitarbeiter und wenige Branchenkenner von der Insolvenz. Monatelang versuchte Riedel, einen Käufer für das Geschäft zu finden – bisher jedoch erfolglos. Die Ära des Familienbetriebs sei in jedem Fall vorbei, bedauert der Chef: „Es bleibt nur eine Totalübernahme – es sei denn, unsere Kunden würden plötzlich wie die Weltmeister kaufen.“ Das Stammhaus sei an sich kein Verlustbringer. Ohne die Schulden hätte es sich weiterhin gegen Konkurrenten wie das Kulturkaufhaus Dussmann behaupten können. Allerdings „nimmt uns Dussmann das Brotgeschäft weg“: Wer gängige Noten suche, kaufe meist dort. Für die Musikalienhandlung blieben fast nur „schwierige Fälle“ übrig. Das Sortiment aus rund 400 000 Notenblättern, Musikbüchern und Tonträgern sowie kleineren Instrumenten gilt als eines der umfangreichsten in Europa. Die Regale sind noch bis an die Decke gefüllt. Riedel bedient Profi- und Hobbymusiker in aller Welt, seit einiger Zeit auch im Internet.

Die Filiale am Gendarmenmarkt hatte er im Herbst 1990 eröffnet, Riedel investierte rund eine Million Euro. Doch im Frühjahr 2001 kam das Aus, weil Konzerthaus-Intendant Frank Schneider zuvor eine Vertragsverlängerung abgelehnt hatte. Die Hintergründe blieben umstritten. Nach Angaben des Konzerthauses ging es um die Miethöhe, während Riedel einen „Ost-West-Konflikt“ sieht. Schneider habe ihm gesagt, dass endlich einmal ein Ossi einen Wessi verdränge. Diese Aussage allerdings bestreitet der Intendant ausdrücklich.

Musikalienhandlungen seien heute „Exoten“, gibt Riedel zu. Das zweite führende Geschäft in Berlin, Bote & Bock, hatte Anfang 2000 geschlossen; übrig blieben nur der gleichnamige Verlag und der von Ex-Mitarbeitern gegründete Laden „Cantus 139“ in der Kantstraße.

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