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Berlin: Lernziel Gewaltfreiheit

Gegen die zunehmenden Übergriffe von Schülern setzen die Behörden auf Prävention

Auf dem Schulhof sind sie nicht zu übersehen. Die Kinder tragen rote Mützen mit großem „M“ – wie Mediator – und zwei Händen, die einander gereicht werden. Es sind die Konfliktlotsen der Spandauer Birkengrundschule. Sie sollen zwischen Streithähnen vermitteln, noch bevor es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt. Kinder als Konfliktlotsen, zu Mediatoren ausgebildete Lehrer, Konfliktlösungsseminare der Schulverwaltung und der Polizei – in Berlin gibt zahlreiche Angebote zur Gewaltprävention. Sie werden dringend gebraucht: Lehrer bekommen immer mehr Übergriffe ihrer Schüler mit.

Im Schuljahr 2002/2003 wurden 422 solcher Zwischenfälle an den Schulen gemeldet – 66 Prozent mehr als im Schuljahr davor. Die Pädagogen machen Gewalttaten eher öffentlich, haben es aber auch mit einem immer schwierigeren Klientel zu tun. Viele Kinder haben Gewalt im Elternhaus als einzige Methode zur Konfliktlösung erlernt, wissen Jugendgewaltexperten. „Die Schüler verniedlichen Taten wie Jackeabziehen oft und wissen nicht, dass Sachbeschädigungen Straftaten sind“, sagt Joachim Schönberg, Leiter des Polizeilichen Verhaltenstrainings an der Landespolizeischule. „Schülern fehlt oft das Bewusstsein, dass es sich bei Beleidigungen um verbale Gewalt handelt“, weiß Luzie Haller, Lehrerin an der Birkengrundschule.

Sie hat sich am Landesinstitut für Schule und Medien (Lisum) zur Mediatorin, also Vermittlerin, ausbilden lassen. Ihr Wissen gibt sie an Schüler weiter, die als Konfliktlotsen wirken wollen. „Der Trick dabei ist, dass die Kinder untereinander oft einen viel besseren Zugang finden, als wenn sich da ein Lehrer hinstellt und predigt“, sagt Frau Haller. Kommt es zum Streit, melden sich die Kontrahenten von sich aus bei den Konfliktlotsen, oder das Kind geht auf die Streithähne zu.

In Berlin gibt es nach Auskunft von Gerhard Weil, im „Lisum“ Referent für Demokratieerziehung, rund 1300 Konfliktlotsen an 150 Schulen. Die Ausbildung läuft in der 5. Klasse, zwei Stunden pro Woche. Meist sind es Kinder, die „sehr fair sind und besondere rhetorische Fähigkeiten mitbringen“, sagt Luzie Haller. Kinder, die anerkannt sind, nicht gleich als Streber abgekanzelt werden.

Rangfolgen, Hackordnungen, Anerkennung – um Dinge wie diese geht es meist bei Ausschreitungen unter Kindern und Jugendlichen. Wie eine mehrjährige Untersuchung der Senatsbildungsverwaltung ergab, sind bei 53 Prozent der Fälle Macht-Rangeleien der Auslöser. Beleidigungen gehen bei 19 Prozent der Gewalttaten voraus. Streitereien zwischen Gleichstarken sind zu 13 Prozent die Ursache. Unter fünf Prozent machen jene Vorfälle aus, bei denen Kinder sich zuvor durch Blicke anderer angegriffen fühlten oder angaben, familiären Frust ausgelassen zu haben.

Wie man auch anders mit solchen Gefühlen umgehen kann, als gleich Rot zu sehen, das haben zehntausende Jugendliche in den Seminaren der Polizei gesehen. Manchmal wirken da auch Worte Wunder, wie Polizei-Präventionstrainer Joachim Schönberg weiß: „Die Jugendlichen werden immer still, wenn sie hören, dass man als verurteilter Straftäter für die Rente des womöglich arbeitsunfähigen Opfers aufkommen muss.“

Annette Kögel

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