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Hier rockt Berlin. Nur 18 Konzerte pro Saison sind in den Open-Air-Konzertorten der Stadt erlaubt. Peter Maffay machte in der Waldbühne am Sonnabend den Anfang.

© dpa

Leserdebatte: Sollen in Berlin mehr Open-Air-Konzerte erlaubt sein?

Die Open-Air-Saison ist eröffnet. Musiker und Veranstalter wünschen sich mehr Konzerte, die Anwohner wollen ihre Ruhe. Ein Pro und Contra. Was ist Ihre Meinung? Diskutieren Sie mit!

In der Waldbühne knatterte Peter Maffay herum. Mit einem Motorrad kam er die Rampe hinuntergerauscht, stieg auf die Bühne und sang sein Lied von den sieben Brücken. Damit ging sie los am Wochenende, die Open-Air-Saison. In der Waldbühne wurde gefeiert – doch in der Nachbarschaft? „Schön war’s nicht, unerträglich aber auch nicht“, erzählt eine Frau, die nebenan in der Siedlung Ruhleben wohnt. „Im Garten war eigentlich nur ein permanentes Summen zu hören.“ Nach 22 Uhr sind die startenden Flugzeuge in Tegel bei ungünstigem Wind schon mal lauter.

Ging es nach den vielen Konzertbesuchern, könnten ruhig noch mehr Shows stattfinden, und vor allem: nicht nur bis 22 Uhr. „Es tut weh, renommierten Künstlern den Saft abdrehen zu müssen, gerade im Sommer. Durch die Dunkelheit fließt Musik besser“, sagt Angelika Lessnick, Veranstaltungsmeisterin in der Wuhlheide. Auch dort beginnt jetzt die Freiluftsaison, an diesem Sonntag legt Paul Kalkbrenner auf, vor mehr als 15 000 Fans.

Doch da sind eben auch die Anwohner. Und die haben ein Recht auf Ruhe. „Die Interessen der Anwohner müssen geschützt werden“, sagt Regina Kneiding von der Senatsverwaltung für Umwelt. Ein Wortungetüm mit dem Namen Landes-Immissionsschutzgesetz bildet die Grundlage für den Lärmschutz und regelt vor allem die nächtlichen Ruhezeiten von 22 bis 6 Uhr. Ende vorigen Jahres trat in Berlin eine Verschärfung in Kraft, die maximal 18 Konzerte pro Freiluftbühne festschreibt. Zwar hatten die meisten Organisatoren ohnehin Verträge mit der Stadt geschlossen, welche diese Obergrenze enthielten, doch sah sich die Umweltbehörde vor allem wegen der gerichtlichen Auseinandersetzung um die Zitadelle in Spandau zum Handeln gezwungen. Auch dort begann die Saison, am gestrigen Sonntag trat Marianne Faithfull auf.

„Wir würden gerne 35 Konzerte pro Saison haben, dann könnten wir mehr experimentieren statt nur große Acts anzubieten. Dauernd bekommt man hier Knüppel zwischen die Beine geworfen, obwohl sich Politiker gerne mit dem hippen Berlin schmücken“, sagt Thomas Spindler, Chef von Trinity Music, der in der Zitadelle die erlaubte Anzahl ausschöpft. Zum Vergleich: Der Stadtpark in Hamburg wird im Sommer 30 Mal bespielt.

Doch es sind nicht nur die Wuhlheide, Waldbühne und Zitadelle, auch eintägige Veranstaltungen wie die Fete de la Musique am 21. Juni gehören zu den potenziellen Konfliktfällen. Veranstalterin Sabine Hofmann weiß überwiegend Gutes von der Zusammenarbeit mit der Stadt zu berichten, auch wenn sich Zuständigkeiten und Regelungen oft geändert haben. Kleine Veranstaltungen sind Sache der Bezirke, große die des Senats. Bei Anwohnern, die sich über Lautstärke beklagen, handele es sich oft um Bürger, die „sich nicht ausreichend informiert und übergangen fühlen“, sagt Hofmann. „Ich habe Verständnis für jeden, der sich beklagt. Wir hoffen in Zukunft, mit verbesserter Technik den Lärm nur noch in die Ohren zu kriegen, die diesen auch haben wollen.“

Die Technik ist allerdings teuer. Und oft spielt eben auch das Wetter eine Rolle. Kommt es zu einer Inversionswetterlage, bei der die oberen Luftschichten entgegen dem Normalfall wärmer als die unteren sind, fliegt der Schall deutlich weiter. Auf einmal hat dann auch die fernab aller Wohngebiete gelegene Wuhlheide Beschwerden von Anwohnern, die zu stark aufgedrehte Lautstärkeregler im Verdacht haben. Dabei wird die maximale Lautstärke bei allen Freiluftveranstaltungen gemessen und darf 100 Dezibel nicht übersteigen. Das entspricht dem Geräuschpegel einer Kettensäge in wenigen Metern Abstand.

PRO

Schreien muss bitte niemand. Nicht die Bühnenbetreiber, die sich von all den Gesetzen und Paragrafen gegängelt fühlen und die Anwohner fragen, was vorher da war: Waldbühne oder Mietvertrag? Aufschreien müssen auch nicht die beleidigten Künstler, die durchs Programm hetzen und ihre Lieder bis 22 Uhr herunterträllern müssen. Gleich aufschreien muss auch nicht das Publikum, das genervt reagiert, wenn um 22 Uhr das Licht angeht und die Menschen so abrupt nach Hause geschickt werden, als wären sie gerade in einer Kinderdisko gewesen (mit dem Unterschied, dass der Eintritt nicht fünf, sondern oft mehr als 50 Euro gekostet hat).

Lauthals aufschreien müssen aber auch nicht gleich immer jene klagewütigen Anwohner, die so tun, als ob an 365 Tagen Scooter und Rammstein auf ihrem Balkon stehen und deshalb um 22.01 Uhr den direkten Kontakt zur Polizeidienststelle suchen. Auch das nervt.

Ein bisschen weniger Geschrei, ein bisschen mehr Ruhe kann in dieser Debatte um Krach nicht schaden. Es soll ja niemand so tun, als ob Scharen von Schülerpunkbands im Stimmbruch die Waldbühne mieten würden, wenn sie könnten. Große Popstars oder Klassikorchester aber aufs nächste Jahr zu verweisen, weil nur an 18 Sommerabenden Musik gemacht werden darf bis 22 Uhr, ist schlichtweg schade für Berlin. André Görke

CONTRA

Es kann auch ein Glück sein, dass der Berliner Sommer nicht allzu lang und das Wetter etwas unbeständiger ist als – sagen wir – in Freiburg. Einige Innenstadtlagen Berlins sind faktisch zu Dauer-Partyzonen geworden, dazu kommen Stadtteil- und Straßenfeste, Paraden und Privatfeiern in Hinterhöfen und auf Gehsteigen – und überall spielen Bands auf. Die kurzen Pausen im Eventkalender füllen die Klänge von Straßenmusikanten oder die wummernden Bässe aus den Lautsprechern, die mitunter sogar Radfahrer hinter sich herziehen. An Open-Air-Konzerten mangelt es nicht, trotzdem soll es immer noch ein bisschen mehr sein. Wir hauen auf die Pauke, bis dem letzten Hostelhopper durch den Tinnitus gedrungen ist, dass hier der Bär brummt. Das lockt das Publikum und füllt die Kassen von Hotels und Gastronomie. Natürlich sind Konzerte unter freiem Himmel wie die Fete de la Musique ein Gewinn für die Stadt – für die Berliner ebenso wie für ihre Gäste. Berlins Tourismuswerber, Clubbetreiber und Konzertveranstalter sollten aber bedenken, dass zur Willkommenskultur auch die ausgebreiteten Arme der Einheimischen gehören. Denen sind die Lautstärkeregler in einigen Gebieten schon heute etwas zu oft und zu hoch aufgedreht. Könnte sein, dass übernächtigte Berliner der Partygesellschaft sonst irgendwann genervt den Stecker ziehen.

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