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Der Stresstest auf der Flughafen-Baustelle entscheidet nicht nur über den Terminplan für die Eröffnung...

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Leserdebatte zum BER-Debakel: Stresstest für die Entrauchungsanlage - Wowereit hat frei

Vom Ergebnis des heutigen Sicherheitstests am BER hängt ab, ob der Eröffnungstermin im März 2013 zu halten ist. Aufsichtsratschef Klaus Wowereit aber glänzt mit Abwesenheit. Was bedeutet dieser Tag für Sie? Diskutieren Sie mit!

Es ist der Tag der Entscheidung. Am Dienstag (24. Juli) soll auf der Flughafen-Baustelle erprobt werden, wie die Entrauchungsanlage bei einem durch einen Brand verursachten Stromausfall reagiert. Das Bauordnungsamt, das die Anlage abnehmen muss, sieht – wie berichtet – die Gefahr, dass dann bereits abgesaugter Rauch aus den Abluftkanälen zurück ins Gebäude strömen könnte. Sowohl die ausführenden Firmen als auch die Planer hielten dies für unwahrscheinlich, heißt es im aktuellen Status-Bericht zum Stand der Arbeiten. Gehe der Test allerdings schief, seien erhebliche Umplanungen erforderlich, so dass eine Inbetriebnahme des Flughafens zum 17. März 2013 nicht mehr möglich wäre. Am heutigen Dienstag wird es deshalb für viele spannend.

KLAUS WOWEREIT

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat ein paar Tage frei genommen. Er lasse sich aber umgehend über alle Flughafen-Probleme informieren; auch heute zum Verlauf des Tests, sagte Senatssprecher Bernhard Schodrowski am Montag. Ob der Flughafen wie geplant in Betrieb gehen könne, entscheide sich aber erst auf der nächsten Sitzung des Aufsichtsrats am 16. August. Dann gebe es „mehr Klarheit“.

Wowereit, der Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft ist, hat das Großprojekt zur „Chefsache“ gemacht. Sollte der Eröffnungstermin erneut verschoben werden, dürften neue Rücktrittsforderungen laut werden. Wowereit könnte aber auf die „Macht des Faktischen“ verweisen: Funktioniert die Technik nicht, kann auch der Vorsitzende des Aufsichtsrats daran nichts ändern. Die Schuldzuweisungen sind längst erfolgt: Verantwortlich seien die ausführenden Firmen sowie der frühere Objektüberwacher, die Planungsgemeinschaft BBI, zu der sich die Architekturbüros JSK und gmp (Gerkan, Marg und Partner) zusammengeschlossen hatten, heißt es im Statusbericht im Zusammenhang mit überbelegten Kabeltrassen.

Eine neuerliche Verschiebung des Eröffnungtermins dürfte den Aufsichtsratschef der Flughafen-Gesellschaft Klaus Wowereit auch im Amt des Bürgermeisters beschädigen.
Eine neuerliche Verschiebung des Eröffnungtermins dürfte den Aufsichtsratschef der Flughafen-Gesellschaft Klaus Wowereit auch im Amt des Bürgermeisters beschädigen.

© ddp

Die Objektüberwacher wurden bereits geschasst. Auch vom technischen Geschäftsführer der Flughafengesellschaft, Manfred Körtgen, hat sich der Aufsichtsrat getrennt – per Aufhebungsvertrag. Die Frage des Grünen-Abgeordneten Andreas Otto, ob Körtgen eine Abfindung erhalten habe, beantwortete Wowereit nicht. Vor kurzem hatte er noch betont, wie wichtig es sei, das wegen des Flughafen-Desasters verlorengegangene Vertrauen der Berliner zurückzugewinnen. Auch in Umfragen nach den beliebtesten Politikern ist Wowereit inzwischen weit zurückgefallen. Nichts würde ihm derzeit mehr helfen als ein Erfolg am Flughafen.

MATTHIAS PLATZECK
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) hat es bisher geschafft, sich geschickt an der Debatte um Kostensteigerungen und Terminverschiebungen vorbei zu mogeln. Auch als Mitglied des Aufsichtsrates – dort sei er stets überstimmt worden. Deshalb steht er wegen des unzureichenden Schallschutzprogramms gewaltig unter Druck. Ihm nehmen es die Anwohner besonders krumm, dass er als Aufsichtsrat den Versuch der Flughafengesellschaft zugelassen hat, den Schallschutz zu minimieren. Erst erfolgreiche Klagen vor dem Oberverwaltungsgericht brachten den Anwohnern mehr Schutz oder Ausgleichsleistungen. Dass der Aufsichtsrat die Flughafengesellschaft aufgefordert hat, juristisch dagegen vorzugehen, bringt Platzeck erneut in die Bredouille. Ein Verschieben des Eröffnungstermins könnte ihm immerhin Zeit verschaffen, beim Schallschutz wieder Boden gut zu machen.

RAINER SCHWARZ
Bisher ist es Flughafenchef Rainer Schwarz gelungen, an der Spitze der Flughafengesellschaft zu bleiben. Er versichert, erst im Februar dieses Jahres von den Problemen mit der Brandschutzanlage erfahren zu haben, obwohl den Planern bereits im Dezember klar geworden war, dass der vollautomatische Betrieb zur geplanten Aufnahme des Flugverkehrs am 3. Juni nicht zu schaffen war. „Wir sind nicht mit jedem einzelnen Problem zur Geschäftsführung gegangen“, sagt der amtierende Projektleiter Joachim Korkhaus. Die Weiterbeschäftigung von Schwarz soll im Aufsichtsrat umstritten gewesen sein. Hätte man sich auch von ihm getrennt, wäre der Flughafen mitten im Chaos führungslos geworden. Die Suche nach einem Nachfolger war nach Tagesspiegel-Informationen gescheitert. Daher dürfte er wohl auch bei einem erneuten Verschieben des Eröffnungstermins bleiben. Nur spekulieren kann man, ob er ein Geschäftsführer „auf Abruf“ ist und nach der Eröffnung seinen Posten aufgibt – oder aufgeben muss. Nach einem erfolgreichen Start des Flughafens, was immerhin auch noch möglich ist, wäre dies fast komisch.

Flughafenchef Rainer Schwarz (links) und BER-Technikchef Horst Amann.
Flughafenchef Rainer Schwarz (links) und BER-Technikchef Horst Amann.

© dapd

HORST AMANN
Richten soll die Sache Horst Amann, der bisher Bauleiter am Flughafen Frankfurt (Main) war. Unter anderem war er für den Bau der umstrittenen vierten Landebahn zuständig. Ob er heute beim Test dabei sein wird, war beim Flughafen nicht zu erfahren. Die Entrauchungsanlage des Flughafens ist eine der größten weltweit. Ein Großteil des Rauchs soll bei einem Brand unterirdisch ins Freie geführt werden – ähnlich wie in Bahn- oder Straßen-Tunneln. Direkt über das Dach entweicht der Rauch aus der Haupthalle des Terminals. Um zu verhindern, dass sich Rauchgase über Lüftungsanlagen ausbreiten, sind dort Schutzklappen eingebaut. Amann, der offiziell am 1. August als Geschäftsführer Technik bei der Flughafengesellschaft anheuert, soll bereits am 16. August dem Aufsichtsrat mitteilen, ob der geplante Eröffnungstermin 17. März 2013 aus seiner Sicht zu halten sein wird. Damit übernimmt Amann die Hauptverantwortung. Nennt er einen späteren Termin, würde ihn dies absichern. Garantieren kann aber auch Amann dem Aufsichtsrat nichts. Ob der Termin zu schaffen ist, entscheidet erst der Tüv, der das Gesamtsystem in einer „Wirk-Funktionsprüfung“ Anfang des nächsten Jahres abnehmen muss. Und dann ist noch die abschließende Genehmigung durch das Bauordnungsamt erforderlich.

CARL-HEINZ KLINKMÜLLER

Chef der Bauordnungsbehörde ist der Vize-Landrat Dahme-Spreewald. Angesichts der angespannten Lage, zieht sich Klinkmüller darauf zurück, dass seine Behörde nur anhand der Prüfberichte Genehmigungen erteilt und ganz am Ende der Kette stehe. „Das ist wie beim Tüv und der Autozulassung, die Sachverständigen prüfen den Wagen, wir erteilen die Zulassung“, sagt Klinkmüller. Reines Understatement, denn die Aufmerksamkeit, die ihm und seiner Behörde zuteil wird, ist dem CDU-Politiker nicht recht. Dem Vernehmen nach stehen er und seine Mitarbeiter gehörig unter Druck, auch seitens der Landesregierung. Klinkmüllers Leute waren es, die die Eröffnung am 3. Juni samt provisorischen Betrieb der Brandschutzanlage nicht genehmigt haben. Mitte Juni dann machte Klinkmüller in einem internen Schreiben auf ernsthafte Risiken für den Termin im März 2013 aufmerksam – wegen der Brandschutzanlage. Und vor dem heutigen Test warnte die Behörde wieder intern vor der Gefahr rückströmenden Rauchgases in das Terminalgebäude. In einem Controllingbericht dazu heißt es: „Wird seitens des Bauordnungsamtes keine Zustimmung erteilt, ergeben sich erhebliche Umplanungen, sodass eine Inbetriebnahme zum 17. März 2013 nicht mehr ermöglicht werden kann.“

Anwohner und Ladenbetreiber warten ebenso gespannt

Für Ladenmieter künftiger Flughafen-Läden wie Beatrice Posch steht die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel.
Für Ladenmieter künftiger Flughafen-Läden wie Beatrice Posch steht die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel.

© Doris Spiekermann-Klaas

BEATRICE POSCH
Die 40-jährige Einzelhändlerin ist in den Urlaub gefahren. Neue Ware für ihr Spielzeuggeschäft „Die kleine Gesellschaft“ hat sie vorerst nicht bestellt. Sie hat das schon einmal getan – für den 3. Juni und mehr als 6000 Euro Stornierungskosten dafür bezahlt. Das ist viel Geld für Beatrice Posch, die zwei weitere kleine Spielzeugläden in Berlin betreibt und für das neue Geschäft am Großflughafen einen Kredit aufnehmen musste. Vielen der Händler und Gastronomen, die sich am Flughafen ansiedeln wollen, geht es wie ihr. Eine nochmalige Verschiebung des Eröffnungstermins würde zwar die Schäden und Verluste für sie erhöhen, ihnen aber zugleich neue Chancen eröffnen. Das meint zumindest der Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins, Ulrich Schellenberg: „Der März-Termin wurde ja auch gewählt, weil da angeblich noch die sogenannte 18-Monatsklausel galt, wonach bei Verschiebung des Eröffnungstermins von bis zu 18 Monaten keine Entschädigung eingefordert werden kann. Eine nochmalige Verschiebung läge in jedem Fall jenseits der 18 Monate.“

HORST TITIUS

Eigentlich sollte er schon seit 2007 einen geschlossenen Flughafen vor der Haustür haben. Darauf hat Horst Titius, der seit 46 Jahren in der Reinickendorfer Meteorstraße wohnt, gehofft. Jetzt hofft der 68-Jährige schon lange nichts mehr. „Wie oft Wowereit und die anderen mich mit der Schließung von Tegel belogen haben – ehrlich, mein Arzt verschreibt mir schon Medikamente, damit ich mich nicht zu sehr aufrege.“ Horst Titius wohnt seit 45 Jahren in der Meteorstraße sehr nah am Flughafen Tegel, seine Schwiegereltern haben das Haus gebaut – lange, bevor es hier einen Verkehrsflughafen gab. Nach zwei, drei Jahrzehnten mit ständigem Fluglärm ist Horst Titius krank geworden und musste in Frührente gehen. „Wenn ich das Geld hätte, wäre ich längst weg von hier und weg aus Berlin“, sagt er: „Ich wollte an diesem 3. Juni endlich die Schließung von Tegel feiern, und nun wird es wahrscheinlich nicht einmal im März.“ Hinzu komme, dass durch die Aufstockung der Flüge von und nach Tegel alles noch schlimmer geworden sei: „Die fliegen viel häufiger und bis 24 Uhr und danach kommen noch Postmaschinen“, sagt er: „Ich muss mit Kopfhörern im Garten sitzen. Vielleicht ist es denen im Aufsichtsrat ja schnuppe, ob der Termin im März nochmal verschoben wird, aber für mich und meine Gesundheit zählt jeder Tag.“

JOACHIM QUAST
Der Friedrichshagener engagiert sich in der gleichnamigen Bürgerinitiative, seit die Flugrouten über den Müggelsee bekannt wurden. Auch an diesem Wochenbeginn trifft er sich mit tausenden Gleichgesinnten zur traditionellen Montagsdemonstration. „Wir könnten uns zwar freuen, wenn sich die Eröffnung noch einmal verschiebt“, sagt er. „Aber Häme liegt uns fern, zumal es das Geld aller Steuerzahler ist, dass hier verbraten wird.“ Angesichts des „bisherigen Diletantismus der Flughafenbauer“ rechnet Quast fest damit, dass der Test am Dienstag nicht bestanden wird. „Dann wird es Zeit darüber nachzudenken, den Bau ganz zu lassen“, sagt er: „Umnutzungskonzepte gibt es ja bereits. Und wenn es noch teurer wird, geht die Flughafengesellschaft sowieso pleite.“

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