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Berlin: Letzte Stolperfalle zum Glück

Eigentlich hätte Rainer Ahnert gestern frei gehabt. Auf dem Dienstplan war lediglich der Name seiner Kollegin Traute Neugebauer eingetragen, und die bedarf als dienstälteste Berliner Standesbeamtin wahrlich keiner Unterstützung.

Eigentlich hätte Rainer Ahnert gestern frei gehabt. Auf dem Dienstplan war lediglich der Name seiner Kollegin Traute Neugebauer eingetragen, und die bedarf als dienstälteste Berliner Standesbeamtin wahrlich keiner Unterstützung. Trotzdem hat sich der Leiter des Standesamts Mitte am Vormittag auf den Weg zum Neuen Stadthaus gemacht. Mit noch schmerzendem rechten Ellbogen, der zwei Tage zuvor einen Sturz auf eisglatter Straße abfangen musste.

Unzählige Male hat der 57-Jährige bereits die Rolle des Standesbeamten gegeben, gestern jedoch übertrug er diese an Traute Neugebauer, um selbst Ja sagen zu können. Als letzter Bräutigam des Jahrgangs 2001 im Standesamt Mitte. Und zugleich als erster, der - nach Bezirksfusion und Umzug ins Neue Stadthaus - im Ratsherrensaal getraut wird. Dabei hatten er und seine 58-jährige Braut Waltraud mit dem Wunsch, noch in diesem Jahr heiraten zu können, schon fast abgeschlossen: "Weil ich das rechtskräftige Scheidungsurteil meiner ersten Ehe, auf das ich zwei Jahre lang warten musste, erst Ende November bekam." Ziemlich kurzfristig hätten sie dann entschieden, als erste in dem neuen Standesamt zu heiraten. Mit leuchtenden Augen erzählt Ahnert, im Sommer 1991 zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein: "Mitten auf dem Alexanderplatz hab ich Waltraud zum ersten Mal gesehen, und es war Liebe auf den ersten Blick - bei uns beiden." Doch andererseits: "Dass ich damals noch verheiratet war, war wirklich tragisch." Entsprechend ungern erinnert er sich an den anschließenden Stress. "Meine Ex-Frau, die Kinder und Verwandte mit dem Ereignis konfrontieren zu müssen, das war total hart." Die Industriekauffrau und der Standesbeamte wünschen sich nichts sehnlicher, als "eine fröhliche, harmonische Zukunft". Vier erwachsene Töchter und Söhne haben die beiden sowie fünf Enkelkinder.

"Wir reisen beide unheimlich gerne und sind begeisterte Tänzer." Während sich für erstere Leidenschaft in absehbarer Zeit durch die berufliche Unabkömmlichkeit des Bräutigams keine Gelegenheit ergeben wird, konnten sie aber letzterer gestern exzessiv frönen. Nach der Trauung wurde mit über 50 Gästen ausgiebig gefeiert. Doch schon die von ihnen für den Einzug in den Ratsherrensaal ausgewählten Klänge ließen das Faible beider für tanzbare Rhythmen überdeutlich werden. "Heavy-Metal-Musik, die auch einige Paare bei diesem Anlass bevorzugen", schmunzelt Rainer Ahnert, "wäre absolut nicht unser Fall gewesen." So fiel die Entscheidung für einen ebenso melodischen wie symbolträchtigen Titel von Whitney Houston: "My Love is Your Love". Und das Ende der Zeremonie wurde von Klassischem begleitet. Auch bei der Kleidung hat sich das Paar zu schlichter Eleganz entschlossen, "obwohl der Trend, standesamtlich in Weiß zu heiraten, immer mehr um sich greift." Gleichermaßen wie der, auf einen Gang vor den Traualtar zu verzichten.

Mehr als die Hälfte aller Paare im Standesamt Mitte sind ein Mix aus Ost und West. So auch dieses Paar. Rainer Ahnert hat berufliche Wünsche, auf die nicht jeder kommen würde: "Wir brauchen hier unbedingt eine Paternoster-Anlage für die Akten." Doch die Finanzen des Bezirks lassen nur kleine Geschenke zu: In Kürze wird die Stufe zum Ratsherrensaal mit einer blinkenden Lichtleiste versehen. Die Stufe ist eine echte Stolperfalle auf dem Weg zum Ja.

Zum Glück die letzte.

Maren Sauer

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