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Neue Landesbibliothek: Lieber noch eine Bibliothek draufsetzen?

Bezirksbüchereien allein reichen nicht aus, sagen deren Leiter. Es fehle an Bestand. Ein zentrales Haus könnte sie nur stärken.

Wo vor kurzem ein Mensch stand, steht jetzt eine Art brummender Pfandautomat. Christina Reichelt ist entsetzt. Ihr gefiel die Atmosphäre in der Ingeborg-Drewitz-Bibliothek im „Schloss“, dem großen Einkaufszentrum in Steglitz – und die Plauderei mit den Mitarbeitern bei der Ausleihe. Die sind jetzt durch Automaten ersetzt, bis Ende 2012 soll das in allen Berliner Stadtbibliotheken so sein. „Das scheinbar Profitable hat das Menschliche ersetzt“, schreibt Reichelt in einem Beschwerdebrief. „Der Leser erledigt jetzt selbst die Arbeit, die davor drei Mitarbeiter in Anspruch genommen hat“, hält Jürgen Klucken dagegen, Leiter der Stadtbibliothek Steglitz-Zehlendorf, die das Verfahren seit zwei Monaten testet. Viele Beschwerden habe es gegeben. „Aber diese Mitarbeiter können jetzt für sinnvollere Aufgaben eingesetzt werden, zum Beispiel für Klassenführungen.“

Das automatisierte System fällt in den Bereich kreatives Haushalten, das als Motto für Berlins Bezirksbibliotheken gelten könnte. Sehr viel großzügiger plant man dagegen auf Landesebene: SPD und CDU haben sich in der vergangenen Woche auf eine Megazentralbibliothek auf dem Tempelhofer Feld geeinigt. Ab 2016 soll das 250-Millionen-Euro-Haus die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) werden. Seit der Wiedervereinigung ist ihr Bestand auf die Standorte Breite Straße in Mitte und Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg verteilt.

In den Kiezen wird die Versorgung mit Medien aber auch dann Aufgabe der Stadtbibliotheken sein. Einen Nachfrageeinbruch nach 2016 fürchtet dort keiner. Die Besucherzahlen nähmen derzeit trotz Internet stetig zu, heißt es in den Bezirken. Die Bibliothek sei ein Ort der Begegnung, begründet das Susanne Metz, Bibliotheksamtsleiterin in Friedrichshain-Kreuzberg und zuständig für fünf öffentliche Bibliotheken und eine schulische. „Auch wenn man nicht miteinander spricht, man ist dort nicht allein.“ Personalmangel, zu wenig Platz und kein Geld, um am Wochenende zu öffnen – die Probleme sind in jedem Stadtteil unterschiedlich ausgeprägt, besonders aber der Medienetat macht den Bibliotheken zu schaffen. Der legt in jedem Bezirk fest, wieviel Geld sie jährlich für Anschaffungen zur Verfügung haben. Um die Versorgung sicherzustellen, hätten Gutachten für Berlin einen Bedarf von 1,50 Euro pro Einwohner im Jahr ermittelt, sagt Metz. „In diesem Jahr erreichen wir gerade einen Euro, 2010 waren es sogar nur 60 Cent.“ Gefragte Medien sind ständig ausgeliehen. „Wir liegen bei etwa 5,6 Ausleihen pro Medium pro Jahr“, sagt Metz. Drei gelten als Standard.

„Das ist, als hätte man das Buch gar nicht im Bestand“, sagt Engelbrecht Boese, Leiter in Tempelhof-Schöneberg. Dort liegt der Wert bei knapp sechs. Der Etat sieht in seinem Bezirk für dieses Jahr 259 000 Euro vor – für 336 628 Einwohner. Damit ist auch die Modernisierung der Bücher ein Kraftakt: Neuerscheinungen müssten angeschafft und zum Beispiel Computerlehrbücher ebenso wie Rechtsliteratur ständig erneuert werden. „Wenn wir den Benutzern mit zwei Jahre alten Werken kommen, lachen die uns aus“, sagt Boese.

„Die Stadtbibliotheken haben keine gesetzliche Legitimation“, sagt Jürgen Klucken. Ein Bibliotheksgesetz fordert Marc Schulte, Bildungsstadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf: „Mindeststandards und eine Mindesthöhe beim Etat könnten so festgelegt werden.“

Evelin Müller, Leiterin des Amtes für Weiterbildung in Lichtenberg, sieht im Personalmangel die größte Schwierigkeit: In den nächsten zwei Jahren müssten zwölf Stellen neu besetzt werden. Bei einer radikalen Sparkur im Jahr 2003/04 wurden in Lichtenberg neun Bibliotheken geschlossen und 23 Stellen eingespart. Heute sei es schwierig, Fachpersonal zu finden. Dabei würde das Benutzern helfen, sich in der unübersichtlichen Welt der Medien zurechtzufinden. „Wir brauchen keine Literaturinterpretationen mehr in den Regalen“, sagt Müller, „die holen sich die Schüler aus dem Internet.“ Man brauche jemanden, der ihnen zeigt, wo man hochwertige finde. Und auch eine ausreichende Zahl an Internetarbeitsplätzen.

Dafür wiederum fehlt der Platz – „unser größtes Problem“, sagt Engelbrecht Boese . Die Mittelpunktsbibliothek Tempelhof-Schöneberg sei mit 1500 Quadratmetern viel zu klein. Als Standard rechne man 3000 für ein Haus mit diesem Einzugsgebiet. Es fehlen Gruppen- und Einzelarbeitsräume. „Derzeit prallen Kinder und Jugendliche, die manchmal lauter sind, auf Leute, die absolute Stille brauchen.“ Besserung könnte der geplante Umzug in das ehemalige Hertie-Kaufhaus bringen, 3400 Quadratmeter stünden hier zur Verfügung. Die politische Entscheidung steht noch aus.

Susanne Metz hofft, dass sich durch das neue Ausleih- und Rückgabesystem etwas ändert: „Vielleicht können wir durch die frei werdenden Ressourcen die Bezirkszentralbibliothek am Kottbusser Tor auch samstags öffnen.“ Auch abends wären längere Öffnungszeiten möglich. Freitags ist sogar die neue Bezirkszentralbibliothek in der Frankfurter Allee nur bis 17 Uhr geöffnet. „19 Uhr, das sollte Standard sein“, sagt Metz. Den erreichen nur wenige Bibliotheken in den Bezirken.

Dass die Stellung der Bezirksbibliotheken durch den Bau der neuen Zentralbibliothek auf dem Tempelhofer geschwächt werden könnte, glaubt keiner der Bezirkschefs. „Im Gegenteil“, sagt Boese, „ich erwarte mir einen positiven Impuls wie bei der Eröffnung der Amerika-Gedenkbibliothek.“ Damals habe Berlin verstanden, was Bibliotheken für eine freie Gesellschaft bedeuten.

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