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© dpa

Linksextremismus: "Annäherung an den Terrorismus"

Der Extremismusexperte Hans-Gerd Jaschke sieht bei dem Einsatz einer aus Gaskartuschen gebauten Bombe eine neue Qualität linksradikaler Gewalt in Berlin. Der Sicherheitsfachmann übt scharfe Kritik am Senat.

Der Einsatz einer aus Gaskartuschen gebauten Bombe beim Brandanschlag auf ein Kreuzberger Luxuswohnprojekt im Oktober ist für den Extremismusexperten Hans-Gerd Jaschke eine „symbolische Annäherung“ an den Terrorismus. „Bei allen Formen des Terrorismus geht es darum, die Bevölkerung einzuschüchtern, Angst zu verbreiten, den Staat herauszufordern“, sagt Jaschke, der als Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht unter anderem angehende Polizisten unterrichtet, dem Tagesspiegel. „Was wir jetzt erleben, geht in diese Richtung.“

Mit Bezug auf den Anschlag war, wie berichtet, jetzt in der Szenezeitschrift „Interim“ zur Nachahmung aufgerufen worden. Szenekenner Jaschke bezweifelt, dass damit schon der Höhepunkt der linksextremistischen Gewaltwelle erreicht ist. „Das, was wir heute erleben, wird sich nicht von selbst erledigen“, sagt er. „Die linke Szene hat eine zu starke Eigendynamik entwickelt.“

Scharfe Kritik übt der Sicherheitsfachmann am Senat, der mit den sozialen Folgen von Stadterneuerung und Umstrukturierung von Innenstadtvierteln nicht sensibel genug umgehe. „Die Politik in Berlin reagiert vor allem durch Distanzierung, Moralisierung, Ächtung von Gewalt“, sagt er und bezieht sich dabei unter anderem auf den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der das Abfackeln von Autos kürzlich im Tagesspiegel als „pervers“ bezeichnet hatte.

„Dadurch wird die Militanz auf ein Sicherheitsproblem reduziert, aber man verweigert die Kommunikation und die Diskussion über die hinter der Gewalt stehenden Grundproblematiken“, sagt Jaschke. „Das ist ein Fehler.“ Stattdessen sollte die Landespolitik die Stadtentwicklung und damit verbundene gesellschaftliche Probleme stärker zum Thema machen. „Die Anliegen des Umfeldes der Autonomen müssen von der Politik als diskussionswürdig anerkannt werden.“

Die unter anderem von der CDU geäußerte Angst, dass Gewalt aus dem linksextremistischen Umfeld nun generell auch stärker gegen Menschen gerichtet wird, teilt Jaschke allerdings nicht. Aus der Geschichte des linken Terrorismus, der Hausbesetzerszene und der Autonomen sei bekannt, „dass immer nur einige wenige bereit sind, Gewalt gegen Menschen anzuwenden“. Diese wenigen reichten aus, um eine „pseudoterroristische Qualität“ herzustellen. „Aber ich sehe nicht, dass die Szene sich insgesamt ändert oder ein neuer Kodex gilt, nach dem Gewalt gegen Menschen akzeptabler wird.“

Bei dem jüngsten Anschlag auf das Privatauto von Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) rätseln die Ermittler weiter über das Motiv der Täter. Ob es ein gezielter Anschlag oder zufälliger Vandalismus ist, war auch am Dienstag unklar. Wie berichtet hatten Unbekannte am vergangenen Freitag gegen 12.30 Uhr mit Nägeln zwei Räder des Wagens in der Mommsenstraße in Charlottenburg zerstochen. Laut Polizeiangaben gibt es bisher aber keine konkreten Hinweise für eine politisch motivierte Tat. Ein Bekennerschreiben sei nicht aufgetaucht. Die Ermittlungen dauern an.

Klar ist bisher nur, dass Westerwelle offensichtlich nicht Opfer des bekannten „Reifenstechers vom Savignyplatz“ wurde. Der 57-jährige psychisch gestörte Mann ist laut Polizei seit seiner Haftentlassung im Juli nicht mehr in Erscheinung getreten.

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