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Berlin: "Liquidrom": Zwei Ohren gingen testweise auf Tauchstation im Klangtempel von Bad Sulza - in Berlin eröffnet das Badeparadies erst 2001

Nur gut, dass heute kein milchiger Vollmond am Nachthimmel stand. Denn wer hier bei Vollmond badet, muss mit allem rechnen.

Nur gut, dass heute kein milchiger Vollmond am Nachthimmel stand. Denn wer hier bei Vollmond badet, muss mit allem rechnen. Das letzte Mal sei in der Therme "der Ekstase-Knoten geplatzt" - so hatte es der Unterwasser-Musikexperte Micky Remann ausgedrückt. Die Samba-Party, die harmlos auf einer Wiese bei dem 500-Seelen-Dorf Auerstedt begonnen hatte, war zu vorgerückter Stunde in die Bad Sulzaer "Toskana-Therme" verlegt worden. Dort trommelte sich die Band erst richtig in Rage, und die Besucher in Badehose und Bikini tanzten, strampelten, gurgelten dazu im solehaltigen Heilwasser. Und auch wenn daran angeblich nur der Vollmond schuld war, beschlich mich ein gewisses Befremden. Heute dagegen stand zu meiner Beruhigung lediglich ein harmloses "aquatisches Hörspiel" auf dem Programm.

Die Tafel mit der Wasseranalyse, die in der verglasten Eingangsfront der "Toskana Therme" hängt, nahm ich nur kurz in Augenschein - doch was ich sah, reichte mir. Der Mineralgehalt des Wassers nämlich, das den Musikgesundheitstempel in Bad Sulza füllt, mochte diplomierte Physiotherapeuten begeistern. Bei mir rief die Auflistung, in der neben Eisen und Magnesium auch Strontium auftauchte, eher Unbehagen hervor. Ich ließ mir von der Kassiererin schnell den Plastikchip aushändigen, der zum Eintritt in das Badeparadies berechtigt, und checkte durch die Sperre ein.

Die ersten Wassermusik-Liebhaber waren bereits da. Scheinbar leblos trieben ihre Leiber im Wasser dahin, die Augen meditativ geschlossen, Ohren auf Tauchstation. Das Dach hoch über ihnen, eine gewellte, wabenartige Konstruktion, wurde von Scheinwerfern mal in lilafarbenes, mal in blaues Licht getaucht. Wassermusik-Guru Micky Remann besprach mit der Berliner Gruppe "Kirit" die letzten Einzelheiten. Die hatte sich kosmische Mäntel übergestreift, zusammengeflickt aus genopptem Plastik und allerlei synthetischem Verpackungsmaterial - diese Bademäntel hätten sicherlich auch Mister Spock gefallen.

Im Lexikon steht, dass Wasser "für den Ablauf der Lebensvorgänge unentbehrlich" sei, "da sich die physiologisch-chemischen Vorgänge in wässrigen Lösungen abspielen." Körperwarm war die Lösung, in der ich untertauchte. Scheinbar aus dem Nichts ertönte Micky Remanns Stimme, hinterlegt von aquatischen Trommelgeräuschen und einem Saxophon. Der Hall des luftgefüllten Raumes war verschwunden, die Tiefen verloren ihre Fülle, die Höhen wurden kristalliner. Nach einer Weile schwebte ich wie ein Embryo dahin. Das Hörspiel handelte von den Bewohnern einer Südseeinsel, deren zentrale Lebensfrage darum kreiste, welche von beiden Früchten sie zuerst verfrühstücken sollten: die Mango oder die Papaya. Als sie im Einbaum zu anderen Ufern aufbrachen, weil ihnen dieses Problem auf die Dauer zu wenig transzendental erschien, war ich längst aufgelöst im solehaltigen Wasser.

Und eigentlich, so stellte ich fest, sind Ohren unwichtig - denn unter Wasser hört man auch mit den Schädelknochen. Nach weit über zwei Stunden entstieg ich dem Salzsee: Ein Wesen, das Land erobert. Und auch die Außerirdischen vom Wasserplaneten entledigten sich verschwitzt ihrer Plastikmäntel und packten ihre Instrumente ein.

Johannes Metzler

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