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Berlin: Löcher im Sortiment

Von Tobias Arbinger Auf den ersten Blick ist alles wie immer. Es ist Vormittag und noch ruhig im Kiepert Buch- und Medienhaus an der Hardenbergstraße.

Von Tobias Arbinger

Auf den ersten Blick ist alles wie immer. Es ist Vormittag und noch ruhig im Kiepert Buch- und Medienhaus an der Hardenbergstraße. Menschen stöbern in den Sonderangeboten vor dem Laden. Andere lesen Zeitung im Kiepert-Coffeshop Balzac. „Die bestsortierte Buchhandlung im deutschsprachigen Raum“, heißt der Slogan des Familienunternehmens. Naht das Ende für eine Berliner Institution?

Dass das Unternehmen Kiepert seit Monaten ums wirtschaftliche Überleben kämpft, wird auf den zweiten Blick ersichtlich. Ganze Regalflächen sind leer. Im Drehständer für „Geo“ und Merian“ klaffen Lücken. Auf den Verkaufstischen Leere: statt Bücherstapeln nur einzelne Exemplare. Selbst von Bestseller-Autoren sind nur wenige Ausgaben da. Restposten: Zwei Bände von Krimi-Starautor Mankell. „Normalerweise würde ich eine Bestellung aufgeben, sagt eine Verkäuferin. „Zurzeit geht das leider nicht. Vielleicht nächste Woche.“

Vielleicht. Gestern hat das 1912 von der Familie Kiepert gekaufte Unternehmen Insolvenz angemeldet. Vorläufiger Höhepunkt einer Krise, die sich in den vergangenen Tagen zugespitzt hat. Am Wochenende war bekannt geworden, dass Kiepert zunächst 60 von mehr als 200 Mitarbeitern kündigt, dass zwei von neun Filialen verkauft wurden, zwei weitere geschlossen werden. Dass die Firma Verlage um Zahlungsaufschub bitten musste.

Die Kundschaft reagiert durchweg entsetzt auf die Nachricht von Kieperts möglichem Ende. „Ich bin Bücherfreund. Für mich war Kiepert ein Paradies“, sagt beispielsweise Jörg Bewersdorf, Richter aus Bremen. „Auf Berlin-Besuchen habe ich immer einen Abstecher in eine Filiale gemacht. Kiepert hatte einfach die reichhaltigste Auswahl.“

Ein älterer Herr erinnert sich an sein Studium an der technischen Universität gegenüber dem Kiepert-Haupthaus. „Schon damals hab’ ich häufig hier gekauft“. „Ich fände es schade, wenn die Firma aufgeben müsste“, sagt Karl Faltenbacher, Historiker. Es gebe immer weniger Läden, die die richtigen Bücher für seine Arbeit führten. „Die anderen stellen vor allem hin, was sich gut verkauft.“ Ein anderer Kunde findet, das Angebot bei Kiepert sei zuletzt doch schon sehr ausgedünnt gewesen.

„Man kann die Situation eigentlich nur noch mit Sarkasmus ertragen, oder man ist in Tränen aufgelöst“, erzählt eine Kiepert-Verkäuferin noch kurz bevor sich die Nachricht über den Insolvenzantrag herumspricht. Zum Schluss hätten die Angestellten nur noch bis zu einem Kontingent von 5000 Euro am Tag Kundenbestellungen aufgeben dürfen. Am Dienstag war das Limit schon um 13 Uhr erreicht.

„Eine gute Buchhandlung ist wie ein geistiges Zentrum einer Stadt“, sagt ein Kunde vor dem Laden, ein pensionierter Richter. Ein anderer pflichtet ihm bei: „Richtige Buchhändler, die zu einem Buch raten können, die gibt es doch gar nicht mehr.“

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