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Berlin: Love Parade: Den Tag zur Nacht gemacht

Sie tanzen immer noch. Obwohl der Techno-Umzug im Tiergarten vor zwölf Stunden endete, lebt die Love Parade im Club "Tresor" in Mitte weiter.

Sie tanzen immer noch. Obwohl der Techno-Umzug im Tiergarten vor zwölf Stunden endete, lebt die Love Parade im Club "Tresor" in Mitte weiter. Rappelvoll ist es am Sonntagnachmittag, und die Betreiber wollen hier noch bis heute - Montagmittag - harte Beats spielen.

Die Sonne strahlt. Es ist warm. Vögel zwitschern. Und doch drängeln die Neuankömmlinge gleich hinein in den Techno-Bunker, in die kahle, ehemalige Tresorhalle einer Bank in der Leipziger Straße. Sie kommen mit dem Taxi aus anderen Clubs, die am Morgen schlossen. Drinnen quetschen sich in stickiger Luft die Leiber, Blitze zucken durch den Nebel und produzieren schemenhafte Umrisse von Menschen. Die Tanzfläche ist voll, es riecht nach Schweiß.

Zum Thema Online Spezial: Love Parade TED: Hat die Love Parade noch Kultcharakter? Foto-Tour: Love Parade in Bildern Auf dem Vorhof, einem Parkplatz mit einigen Bäumen, ist extra für diesen Tag ein Garten eingerichtet. Auf einer Bühne spielt ein DJ Experimental-Techno, doch hier, unter blauen Himmel und grünen Bäumen, will sich keiner so richtig bewegen. Nur drei Männer tanzen ruckartig über den staubigen Boden. Draußen hat niemand mehr Energie: Da hilft auch das riesige "Red Bull"-Verkaufszelt nichts. Die meisten, die herumstehen, sind müde und fertig, die wenigsten überhaupt ansprechbar. Drei Besucher - zwei Mädchen und ein Junge aus Eisenach - sind 24 Stunden ununterbrochen unterwegs: "Da muss man viel Red Bull trinken", sagt er. Wach bleiben nur mit Red Bull? "Ja, wirklich." Sie waren vorher in einem Friedrichshainer Club. Jetzt, im Tresor, gehen sie mal rein zum Tanzen, dann wieder raus - seit dem Morgen, als sie hier ankamen. Andere Besucher winken ab, wollen nicht sprechen. Sie möchten in Ruhe gelassen werden. Viele Blicke sind einfach nur leer.

Viele sind am Morgen aus den Messehallen gekommen, wo um acht Uhr früh der "Lovestern Galaktika", der offizielle Love-Parade-Abschluss, verglühte. Bei dem Massen-Event war die Stimmung besser: Auf einer Open-Air-Fläche tanzte man in den Sonnenaufgang hinein. Und drinnen lachten sich die Raver gegenseitig an, zu Remixen aus den 80er Jahren - Messehalle zwölf war in dieser Nacht ein House-Haus. "Das Model" von Kraftwerk wurde eingespielt: " ... und sie sieht gut aus". Recht frisch sahen hier trotz der vorgerückten Stunde noch viele aus. Die Frauen tanzten - Bauch rein -, und die Männer guckten mit dreisten Augen hin. In den Hallen nebenan gab es Techno von heute, mal etwas härter und schneller, mal weniger hart. Lustig anzusehen war die Beach-Bar - auf einem Parkplatz ist Meersand aufgeschüttet, darauf ein Schwimmbassin. Aber der Mut fehlte: Nur sieben Raver hatten sich in dieser Nacht ausgezogen und ins Bassin gestürzt, sagte der Wachmann am Rand. An die Bauzäune, die rund um den Kunststrand standen, waren von innen Bastmatten geheftet. Wer müde war, konnte sich hier auch auf den rot-weiß gestreiften Stoff von Liegestühlen legen.

Die Portugiesin Angela hatte keinen mehr gefunden. Sie schlief von drei bis vier Uhr in der Halle, neben den Lautsprechern. Auf der Love Parade war sie das erste Mal, so richtig gut fand sie das Ganze nicht. Die Raves an den spanischen und portugiesischen Stränden seien schöner - und eben auch authentischer als jede künstliche Beach-Bar.

Etwa 1500 Raver waren noch da, als fünf Minuten nach Acht der DJ in der größten Halle seine Plattenspieler abstellte. Plangemäß: Nur bis acht sollte die Party dauern. Stille, die Raver hörten auf, sich zu bewegen: Ratlosigkeit. Sie pfiffen. Eine Tänzerin bewegte sich heftig zu der Musik, die aus der Nachbarhalle herüberklang. Sie streifte die Schuhe ab, sprang umher - und konnte niemanden mehr zu Protest hinreißen. Die Raver schlurften in die Nachbarhalle, wo die Rhythmen fünf Minuten später verstummten. Nur leise Hintergrundmusik vom Band war noch zu hören. Die Lichter gingen an, ein Kleinbus fuhr herein, um einen Getränkestand abzutransportieren.

Die Raver liefen zum Ausgang, Security-Männer achteten darauf, dass sie es wirklich taten. Sie durchquerten den Chill-Out-Raum, wo noch kleine Springbrunnen neben echten Sonnenblumen plätscherten und ein Messe-Arbeiter jedoch schon den Rasen zusammenrollte. Manche sagten, sie gingen jetzt endlich schlafen, viele aber wollten tatsächlich weiterfeiern. Diejenigen, die nicht ein Taxi zum "Tresor" nahmen, stiegen in die Früh-S-Bahnen: Die Sonderzüge für die Raver starteten in Potsdam.

Im Tiergarten waren gestern Mittag keine Raver mehr: Während einige am Morgen noch zwischen leeren Getränkedosen auf den Wiesen schliefen, war mittags von beidem kaum noch etwas zu sehen. Zwischen zusammengekehrten Müllhäufchen sieht man nun wieder ganz normale Sonnenbader und Spaziergänger mit Hunden.

Christian Domnitz

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