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Berlin: Love Parade: Mit aufwendigen Trucks soll nicht nur Werbung, sondern auch ein Lebensgefühl transportiert werden

Mit dem eigenen Truck in der Love Parade mitfahren - für die meisten Discjockeys und Partyveranstalter ist es das Größte. "Für uns ist die Parade die Belohnung für ein ganzes Jahr Arbeit", sagen Geraldo Schneider und Pierre Eisenhut von der kleinen Plattenfirma Formaldehyd.

Mit dem eigenen Truck in der Love Parade mitfahren - für die meisten Discjockeys und Partyveranstalter ist es das Größte. "Für uns ist die Parade die Belohnung für ein ganzes Jahr Arbeit", sagen Geraldo Schneider und Pierre Eisenhut von der kleinen Plattenfirma Formaldehyd. "Außerdem kriegen wir während der Parade ein Feedback zu unserer Musik. Wir merken, was den Leuten gefällt, und wie wir im nächsten Jahr weitermachen sollen."

Vier Monate haben sie mit Finanzierung, Aufbau und Dekoration ihres Lastwagens verbracht. Die Vorgaben der Organisatoren sind von Jahr zu Jahr schärfer geworden, und die Wagenbetreiber versuchen, einander auszustechen: immer größer, aufwendiger, auffälliger. Jeder der Trucks verschlingt zwischen 50 000 und 150 000 Mark, und trotz Sponsoren, die mit ihren Logos werben, ist ein Techno-Wagen auf der kostenlosen Love Parade angeblich ein Geschäft ohne Profit. "In diesem Jahr möchte sich die Love Parade wieder auf ihre Wurzeln besinnen", heißt es im Internet, "und gewährt nur noch denen eine Wagenteilnahme, die unsere Lebensweise das ganze Jahr über möglich machen, mitgestalten und fördern."

Die zugelassenen Wagen kommen aus allen Teilen Deutschlands, aus England, Belgien, Dänemark, aus den USA und der GUS. Sie tragen Namen wie "Partysan," "Tanzdiebe", "Alien Invasion" oder "Cocoon". Der recht freizügige Kit Kat Club aus Berlin ist ebenso vertreten wie die Jungen Katholiken aus Bayern. Was die höchst unterschiedlichen Gruppen zusammenbringt, muss besagte "Lebensweise" sein. Dazu gehört beispielsweise Toleranz. "Beim Techno werden die unterschiedlichsten Charaktere nebeneinander geduldet und respektiert", brüstet sich die Szene. Man freut sich über die ältere Frau, die halb amüsiert, halb erschrocken die knapp bekleideten Verrückten mit den bunten Haaren beobachtet. Man tanzt mit Polizei und Müllabfuhr, man winkt dem Bürgermeister zu, man liebt sich eben. Für Alexander Skornia, Clubpromoter und Wagenbetreiber der Discothek "Matrix", besteht die Faszination der Parade auch darin, dass die Teilnehmer für einen Tag die Realität bei Musik und Spaß vergessen können. Obwohl er findet, dass Techno früher "kultiger" war, freut er sich auch darüber, dass sich die Szene vergrößert und sich nun auch Medien und Politik mit dem Phänomen Techno befassen. Bei den Gefühlen und Lebensaspekten, die von den Wagenbetreibern vermittelt werden, spielt auch Sex eine Rolle. Das offizielle Magazin zur Love Parade zeigt hauptsächlich Bilder von leichtbekleideten, untersichtig fotografierten Mädchen. Mark Reeder vom Techno-Label "mfs" und Love-Truck-Betreiber, wundert sich darüber nicht. "Musik ist Sex", sagt der Brite, "Musik und Tanzen sind uralte menschliche Rituale, die auf Sex zurückgehen und deren Unterdrückung nun zu Ende geht." Techno wird unsere Kultur verändern, so glaubt er: "Die Kirche hat ausgedient. Die Jugendlichen wollen die Religion von Enthaltsamkeit und Zucht nicht mehr. Musik ist die neue Religion, bestimmt von Gleichberechtigung und Freizügigkeit."

Mit dieser Aussage ist Andreas Lammel von den Jungen Katholiken natürlich nicht einverstanden. Er leitet Techno-Gottesdienste und betreibt im zweiten Jahr einen Love-Truck. "Die Kirche schreibt nicht generell vor: Seid lustlos! Im Gegenteil, Techno ist die zeitgemäße Fortführung der Kirchenmusik. Trance-Musik ist höchst meditativ, hilft beim Einswerden mit dem Kosmos und bringt Jugendliche Gott näher", so der Kirchenmann. Vielleicht macht Techno aber auch deshalb die Menschen so glücklich, weil das "bum bum bum" so an den Herzschlag der eigenen Mutter erinnert, und daran, wie wohl man sich als Embryo gefühlt hat.

Benedikt Opitsch

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