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Berlin: Mach’s gut, Knut

Der kleine Eisbär aus dem Zoo soll in einen anderen Tierpark umziehen, wenn er etwa ein Jahr alt ist Aus wissenschaftlicher Sicht spricht vieles dafür – aber die Trauer der Fans ist absehbar. Ein Pro & Contra

Sooo süß, sooo knuddelig, sooo knut- schig – Knuts Anhängerschar überschlägt sich mit Liebesbekundungen per Internet-Fanpost. Jetzt freuen sich die Fans auf Knuts bevorstehenden ersten öffentlichen Auftritt im Zoo. Wie berichtet, darf sich dort der kleine Eisbär wahrscheinlich noch vor Ostern erstmals in der Berliner Luft dem Publikum vorstellen. Man darf wohl erwarten, dass die Besucherströme zur Knut-Premiere im Zoo gewaltig sein werden.

Nichts zu spekulieren gibt es dagegen, was die Zukunft des ersten Berliner Eisbärennachwuchses seit 1933 betrifft: Knut soll an der Spree nicht alt werden – höchstens etwa ein Jahr, dann bekommt er ein neues Zuhause. Es gab schon erste Anfragen. Die Zoodirektion will sich aber noch nicht festlegen, wo der Liebling der Berliner irgendwann für Nachwuchs sorgen und auf seinem Bärenfell ein hoffentlich langes Leben genießen darf. Bis zu 45 Jahre alt können Polarbären in menschlicher Obhut werden – in freier Natur dagegen nur höchstens 25 bis 30 Jahre, die zuletzt durch Rheuma und kaputte Hüftgelenke beschwerlich werden können. Und nur etwa jedes zweite Jungtier überlebt überhaupt die ersten fünf Jahre unter den harten Bedingungen der Arktis.

Der Lieblingsberliner Knut weiß davon nichts. Behütet wächst und gedeiht er in seinem Zoo-Kinderzimmer und macht seinem Ziehvater Thomas Dörflein gerade ziemlich zu schaffen: wehrt sich der kleine Kerl doch energisch vor der Baby-Waage. Wiegen muss aber sein, deshalb steigt Dörflein jetzt mit seinem Schützling auf eine große Waage. Acht Kilo muss Knut wiegen, bevor er sich seinen Fans präsentieren darf. Deren Schar geht inzwischen in die Zigtausende. Und bevor diese empört den Zoo stürmen, wenn ihr Knut in nicht allzu weiter Ferne aus Berlin „abgeschoben“ wird, sollen sie die Gründe dafür erfahren.

Zu allererst geht es um Knuts Leben. Sein Auftritt in der großen Eisbärenanlage könnte für ihn zur tödlichen Katastrophe führen. Im Zoo hat sich der 1993 in München geborene Lars als männlicher Vertreter der Bärenfamilie etabliert. Der Eisbär (Ursus maritimus), auch Polarbär genannt, gilt neben dem Kodiakbären als das größte an Land lebende Raubtier. Im Gegensatz zu anderen Bärenarten sind Eisbären fast ausschließlich Fleischfresser – in der Arktis jagen sie hauptsächlich Robben. Aber auch junge Eisbären laufen Gefahr, von einem älteren Männchen gefressen zu werden. Muttertiere weichen daher mit ihrem Nachwuchs den Männchen aus oder verjagen sie mit Drohgebärden.

Knut aber hat niemanden, der ihn beschützt. Sein Muttertier, die 1986 in Kanada geborene Tosca, hat ihren Nachwuchs am 5. Dezember wenige Stunden nach seiner Geburt vor ihrer Höhle abgelegt. Im Normalfall verlassen Eisbärinnen mit ihren Jungen erst nach vier Monaten ihre Geburtshöhle. Etwa zwei Jahre lang genießen die Jungen dann noch Mutterschutz und lernen überlebenswichtiges Eisbärenbenehmen. Danach sind sie auf sich gestellt und leben wie ihre erwachsenen Artgenossen als Einzelgänger. Jeder ist sich selbst der Nächste – in freier Wildbahn ebenso wie im Zoo.

Dort würde Tosca nicht mal ihr eigenes Fleisch und Blut erkennen, was den kleinen Eisbären im Wortsinne zum gefundenen Fressen machen könnte. Nicht nur von Lars droht Gefahr, auch die drei Eisbärinnen in der Anlage könnten das Junge tödlich verletzen. Lars nun einfach für Knut einzutauschen, nur weil der gerade der Berliner Zoo-Liebling ist, wäre nicht sinnvoll. Bis Knut mit vier bis fünf Jahren geschlechtsreif ist und statt Lars für Nachwuchs sorgen könnte, wären die in Berlin in Frage kommenden Partnerinnen zu alt oder im Fall von Tosca als inzestuöse Beziehung ohnehin ungeeignet.

Auf der ehemaligen Zirkusinsassin ruhen die Zuchthoffnungen des Zoos: Tosca hat sich schon mehrmals folgenreich mit Lars verbandelt, auch wenn es mit dem Überleben ihres Nachwuchses – außer jetzt mit Knut – bisher nicht geklappt hat. Noch nie funktionierte es aber zwischen Lars und Toscas Geschlechtsgenossinnen aus Karlsruhe. Die dort im November 1984 geborene Katjuscha und die im Dezember 1989 geborene Nancy sind nach Auskunft aus dem Zoo „gerade noch so“ vermehrungsfähig und kämen als Mütter für künftige Erzeugnisse von Knut nicht in Frage.

Bis aus dem kleinen Eisbären aber der große Knut wird, der sich in irgendeinem Zoo mit einem attraktiven Eisbärenweibchen verlustiert, ist es noch lange hin. Und bis dahin wird es in Berlin genug Gelegenheit geben, Knut zu besuchen. Zunächst nur für eine halbe Stunde, dann nach und nach immer etwas länger soll er sich in seiner Anlage tummeln dürfen – wo und wann, will der Zoo den vielen Fans von Knut rechtzeitig mitteilen.

Heidemarie Mazuhn

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