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Berlin: Machtfrage bei Grünen noch nicht geklärt

Fraktion wurde von Ratzmanns Rücktritt überrascht

Von Sabine Beikler

Nur zwei Büros liegen zwischen den Zimmern mit der Nummer 476 und 485. Im Raum 476 des Abgeordnetenhauses arbeitet Dirk Behrendt, in 485 Volker Ratzmann. Doch seit Wochen funktionierte noch nicht einmal mehr „Flurfunk“ zwischen dem Parteilinken Behrendt und dem Realpolitiker Ratzmann. Seit dem Scheitern von Rot-Grün tobt zwischen den zwei Grünen ein Machtkampf um Posten und Positionen. Jetzt hat Ratzmann die Konsequenzen gezogen: Vor seiner Fraktion erklärte der 51-jährige Jurist am Dienstagnachmittag seinen Rücktritt. Die 29-köpfige Fraktion wurde davon völlig überrascht.

„Dieser Schritt ist mir nicht leicht gefallen“, sagte Ratzmann. Acht Jahre sei er Fraktionschef gewesen und habe dafür gearbeitet, dass sich die Grünen öffneten und „aus der Umklammerung der SPD“ lösten. Der Entschluss seines Rücktritts sei am Wochenende gereift, niemand habe ihm dazu geraten. „Ich gehe jetzt, weil ich den Weg frei machen will für eine notwendige Richtungsbestimmung.“

Ratzmann gestand Fehler im Wahlkampf ein. Und vor der Vorstandswahl vor drei Wochen hätte die Wahl erst aufbereitet werden müssen. Dass Ex-Spitzenkandidatin Renate Künast weiter Fraktionschefin im Bundestag und Ramona Pop Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus bleiben, sei kein Thema. Er verstehe seinen Rücktritt „nicht als Opfer“. Ratzmann betonte: „Ich habe die Entscheidung für mich allein getroffen.“

Schwere Vorwürfe erhob er in Richtung Behrendt und den anderen Parteilinken Canan Bayram, Turgut Altug und Susanna Kahlefeld. „Ich halte vier Personen nicht für geeignet, repräsentative Funktionen im Landesverband und in der Fraktion zu übernehmen“, sagte Ratzmann. Deren Verhalten sei „zutiefst unpolitisch“ gewesen. „Das habe ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass Mandatsträger eine demokratische Wahl nicht akzeptieren.“ Von Seiten der Bundespartei habe ihm da „ein bisschen der Aufschrei über dieses Verhalten der Linken gefehlt“.

Vor drei Wochen siegte Pop im ersten Wahlgang gegen Canan Bayram, Ratzmann denkbar knapp gegen Behrendt erst im zweiten Wahlgang. Einen Tag nach der Wahl forderte die Parteilinke die Fraktionschefs auf, auf einen der beiden Vorstandsposten zu verzichten.

Fraktionschefin Ramona Pop, die im Amt bleiben wird, kommentierte den Rücktritt Ratzmanns mit folgenden Worten: „Es ist ein großer honoriger Schritt. Volker Ratzmann hat viel für die Fraktion geleistet. Jetzt macht er den Weg frei für die Klärung der inhaltlichen und personellen Fragen.“ Dirk Behrendt verschwand nach der Fraktionssitzung und wollte sich nicht öffentlich äußern. Für die Parteilinke sprach die Kreuzberger Abgeordnete Heidi Kosche: „Wir respektieren die Entscheidung Ratzmanns.“ Man wolle jetzt zusammen nach einer Lösung suchen. Die Linken würden aber einen Sitz in der Fraktionsspitze beanspruchen.

Es wird wohl wieder eine Doppelspitze geben – allerdings nicht mit Behrendt oder  Bayram an der Spitze. Es gibt zudem eine persönliche Beziehung, die einer Wahl Behrendts nicht förderlich ist. Behrendt ist mit Parteichef Daniel Wesener liiert. Beide stammen aus dem Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg. Auch wenn die Grünen die Trennung von Amt und Mandat hochhalten, wäre diese Kombination ein zu starkes Machtduo. Offiziell sagt das freilich kein Grüner.

Statt Behrendt werden als Kompromisskandidaten Heiko Thomas, bisher auch Kandidat für das Amt des parlamentarischen Geschäftsführers, der Verwaltungsrechtler Thomas Birk und der frühere Landeschef und Neu-Parlamentarier Stefan Gelbhaar gehandelt. Die Grünen wollen auf einer Sondersitzung am Freitag über das weitere Vorgehen sprechen. Ende November ist eine Fraktionsklausur geplant. Bis dahin läuft auch die Mediation mit den zerstrittenen Flügeln weiter.

Heute Abend gehen die Diskussionen weiter: Der Landesausschuss wird im Beisein von Renate Künast den Wahlkampf kritisch auswerten. Sabine Beikler

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