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Berlin: Mahnende Stimmen, stilles Gedenken

Klanginstallation am Holocaust-Mahnmal, Lange Nacht im Jüdischen Museum: Vielerorts in Berlin wurde an die NS-Opfer erinnert

Auf dem Holocaust-Mahnmal schmilzt der Schnee, es reicht noch zur Schneeballschlacht. Junge Leute, vorwiegend Touristen, bewerfen sich lachend, bis Ordnungspersonal mahnend eingreift. Bald wird wieder geworfen und gelacht. Der Anblick von unbeschwerter Freude schmerzt jene Besucher sichtlich, die gestern Mittag wegen der Klanginstallation „Auschwitz. Stimmen“ hierher gekommen sind, am Holocaust-Gedenktag, dem Tag der Befreiung von Auschwitz.

Das Mahnmal wirkt wie zweigeteilt. Vorn, an der Ebertstraße, zeigt es sein Alltagsgesicht, zieht Passanten an, die von der Klanginstallation im hinteren Bereich nichts mitbekommen. Dort aber sind auf einer Reihe von Stelen Lautsprecher aufgebaut, mit Stimmen von Auschwitz-Überlebenden. „Es war die Hölle“ berichten sie, schildern, wie sie nach dem Transport in Viehwagen in Auschwitz ankamen, krank, verzweifelt. Viele schrien und weinten, SS-Leute versprachen ihnen zynisch „einen schönen Platz“. Die Stimmen aus den Lautsprechern klingen ruhig über das Stelenfeld, schildern unbeschreibliche Angst. „Wir lebten zeitlos“ sagt eine Frau. „Es waren 700 Jahre für mich.“ Nicht nur Opfer kommen zu Wort, auch kalte Bürokraten der NS–Zeit. Die ersten Transporte, berichtet einer, seien „total vergast“ worden, und überhaupt sei die „Vernichtung“ von Anfang an klar gewesen. Sie berichten nüchtern von Fahrkarten, Zollabfertigung, Frachtrechnungen und der Achsenzahl von Waggons.

Es sind erschütternde Tondokumente, Gruppen von Besuchern hören schweigend zu. Überlebende schildern nicht nur den persönlichen Schrecken, sondern sie nennen auch die nackten Zahlen: Etwa, dass von einem Transport von 54 000 Menschen nur 1200 überlebt haben.

Einige Mahnmalbesucher sagen, die Stimmen müssten hier immer zu hören sein, als eindringliche Mahnung, nicht zu unbeschwert durch das Stelenfeld zu wandern. Zuvor hat am Mahnmal eine Gruppe Iraner der Opfer gedacht. Dem Hass und den Holocaust-Leugnern müsse entgegengetreten werden, fordern sie, gerichtet an die Adresse der iranischen Regierung. Am Joachimstaler Platz in Charlottenburg wird fast zeitgleich vom Bezirk zum „Innehalten“ aufgerufen. Namen von Opfern werden verlesen, es gibt eine Schweigeminute. Vielerorts wird an die Schreckenszeit erinnert. Am Abend veranstaltete das Jüdische Museum eine „Lange Nacht des Exils“, im Berliner Dom gab es ein Benefizkonzert für noch lebende NS–Opfer in Israel, und in Pankow sollte am ehemaligen Jüdischen Waisenhaus eine Lichterkette gebildet werden. Am Hauptbahnhof gab es, initiiert unter anderem von der Publizistin Lea Rosh, eine Demonstration wegen der von der Bahn geplanten und schon jetzt umstrittenen Ausstellung über die Juden-Deportationen.

Über 55 000 Berliner Juden kamen in Lager. Viele wurden vom Bahnhof Grunewald deportiert, vom berüchtigten Gleis 17. Die Mehrzahl, mehr als 30 000, trieb man durch Moabit zum Güterbahnhof, von wo sie nach Riga, Minsk, Lodz, Theresienstadt und Auschwitz gebracht wurden. Erst seit letzter Woche erinnert eine Stele an der Quitzowstraße 18 - 21 an die Deportation. Noch heute ist das Kopfsteinpflaster zu sehen, das aufs Bahngelände führt. Der Weg, mahnte Mittes Bezirksbürgermeister Christian Hanke, sei unter den Augen der Öffentlichkeit gegangen worden.

Christian van Lessen

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