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Berlin: Maiensprache

Von Anti-Berliner über Hasskappe bis Wanne:Fast vergessene Begriffe wiederbelebt

Straßenkämpfer

Angeblich waren die autonomen Straßenkämpfer der frühen Mai-Randale, nicht zuletzt wegen exzessiven Alkoholkonsums und durch das Rauchen verursachte Konditionsschwächen, eher harmlos gegen diejenigen, die sich in den 90er Jahren in die Randalenächte stürzten. Beide haben mittlerweile Konkurrenz durch Mai-Touristen mit Goldkettchen und Markenjeans. Der ehemalige deutsche Außenminister und jetzige Hochschullehrer Joseph Fischer hat sich zu seiner Zeit als Frankfurter Streefighter durch Lauftraining und Liegestützen vorbereitet. Die Berliner Mai-Nächte haben keine vergleichbaren Politikerkarrieren hervorgebracht.

Hasskappe

Das Utensil aus dem Motorradladen eignete sich bestens zur Tarnung für die, die sich von der Polizei nicht fotografieren oder filmen lassen wollten. Abgelöst durch tief ins Gesicht gezogene Basecap und aufgestellten Rollkragen.

Pflasterstein

Vor dem 1. Mai 1987 erlaubten sich Bauarbeiter und Pflasterer, Steinhaufen über das Wochenende sich selbst zu überlassen. Nach der großen Randalenacht galten Steinhaufen als Munitionsdepots. Sie wurden folgerichtig abgeräumt, wenn in Kreuzberg Demonstrationen oder Volksfeste angemeldet waren. Später wurden gar die Ritzen zwischen verlegten Steinen mit Asphalt vergossen – Demontage aussichtslos.

Wanne

Der Mercedes-Mannschaftswagen der Polizei war erst dann eine wahre Wanne, wenn auf der Karosserie die Spuren der Steine zu erkennen waren. Das Geräusch niederprasselnder Steine auf der Wannenhülle soll auch eher linke Politiker davon überzeugt haben, dass ein Polizeieinsatz am 1.Mai auch polizeiliche Nervenkräfte beanspruchte. Der Schutz der Blaulichter und der Wannenverglasung durch Drahtgitter gab dem Kleinlaster einen robusten Touch. In den Jahren nach 1987 gehörte Nageln des Dieselmotors zum Kreuzberger Straßengeräusch. Der Mannschaftswagen enthielt meistens eine nicht ganz geringe Zahl von Polizisten, je nach Gelegenheit schon für den Nahkampf gerüstet und behelmt. Stand die hintere Tür der Wanne offen, war baldiges Absitzen der Polizisten nicht ausgeschlossen. Die robuste Wanne ist mittlerweile ersetzt durch komfortable Kleinbusse.

Bolle

Die Kreuzberger Filiale der Supermarktkette, an der Wiener Straße, Ecke Skalitzer Straße gelegen, wurde in der Nacht des 1. Mai gestürmt und, nachdem sich die Plünderer vor allem aus dem reichhaltigen Sortiment an Alkoholika bedient hatten, in Brand gesteckt. Am Ende der Nacht war das Gebäude einsturzgefährdet und wurde abgetragen. Heute entsteht dort, wo mal Bolle war, eine Moschee. Bolle-Märkte waren zwischenzeitlich vom Markt verschwunden, jetzt gibt es acht von ihnen in Berlin, durchaus auch an Orten, an denen das Prekariat einkauft. In Kreuzberg findet sich kein Bolle mehr, wohl aber einer in Zepernick im Nordosten Berlins.

Anti-Berliner

Typischer Vertreter dieser Spezies ist der Bolle-Plünderer. Geprägt wurde der Begriff vom damaligen Senatssprecher Winfried Fest. Die Randale-Bereitschaft, so vermuteten es damals Politiker, hatte eben auch mit dem Bemühen des CDU-geführten Senats zu tun, die Stadt zur 750-Jahr-Feier unkreuzbergisch aufzuhübschen. Und wer nichts damit anfangen konnte, war ein Anti-Berliner.

Mehringhof

Der Mehringhof, ein backsteinerner Gewerbehof, steht zwar nicht in der Nähe der randaleträchtigen Kreuzberger Plätze zwischen Skalitzer und Oranienstraße, sondern weiter im Westen. Aber politisch steht er für alles, was zum 1. Mai 1987 beigetragen und gehört hat. Hier, wo „Alternative“ ihre „Projekte“ betrieben und „Autonome“ langelange, wild und heftig, mit Gefühl und Härte diskutierten, tagte 1987 auch alles, was gegen die Volkszählung war. Die Volkszählung wiederum, das war Konsens bis in linksbürgerliche Kreise, gehörte boykottiert. Am Morgen vor der Nacht zum 1. Mai hatte die Polizei den Mehringhof durchsucht – es ging um den Volkszählungsboykott. Da war die Stimmung manches Alternativen oder Autonomen abends eher gereizt.

SEW

Der West-Ableger der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gehörte 1987 zu den Organisatoren des Straßenfestes auf dem Lausitzer Platz. Die Partei gab ein eigenes Zentralorgan heraus – „Die Wahrheit“. Manche Leute lasen sie. Von der SEW ist in gewisser Hinsicht die PDS geblieben. wvb.

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