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Berlin: „Man kann lernen, Schmerzen zu managen“

Frau Urnauer, in der Schmerztherapie an der Charité ist die begleitende Behandlung durch Sie, eine Psychologin, Pflicht. Die meisten Patienten sind verzweifelt.

Frau Urnauer, in der Schmerztherapie an der Charité ist die begleitende Behandlung durch Sie, eine Psychologin, Pflicht. Die meisten Patienten sind verzweifelt. Was sagen Sie ihnen?

Zuerst einmal, dass Schmerzfreiheit nicht das realistische Ziel sein kann.

Und die springen Ihnen dann nicht ins Gesicht?

Doch. Die Abwehr gegen diese Diagnose und gegen einen Psychologen ist erst einmal groß. Die Patienten haben Angst, man könnte sie für verrückt erklären. Und sie sind häufig fixiert auf die organische Ursache. Die wollen sie finden, dann verschwinden auch die Schmerzen, denken sie.

Und das stimmt nicht?

Nein. Bei chronisch Kranken hat sich der Schmerz verselbstständigt, er ist eine eigene Krankheit geworden, nicht nur psychisch, auch körperlich, da haben sich Zellen verändert unter den ständigen Schmerzreizen, sogar im Gehirn.

Ist das umkehrbar?

Nur bedingt leider. Deshalb ist es wichtig, die Patienten möglichst früh zu erwischen, im Krankheitsverlauf. Besser behandelbar sind grundsätzlich die so genannten Schmerzstörungen, bei denen ursprünglich ein psychisches und nicht ein körperliches Problem zugrunde lag. Ein Beispiel. Ein Mensch, dem eingetrichtert wurde, dass nur Leistung zählt, wird älter und kann nicht mehr so wie früher. Er ist unglücklich. Dann kommt ein kleiner Schmerz dazu, und in den flüchtet er sich dann. Er sagt: Es ist ja der Schmerz, der Schuld ist an meinem Versagen, es bin ja nicht ich.

Können dann auch gesellschaftliche Veränderungen Schmerzen auslösen?

Ja. Ängste spielen da eine große Rolle. Nach der Wende stieg die Zahl der Schmerzkranken im Osten. Jetzt wächst, durch die soziale Unsicherheit, die Zahl der jungen Schmerzpatienten.

Wie kann man Menschen überhaupt noch helfen, wenn man ihnen den Schmerz nicht nehmen kann?

Man kann lernen, den Schmerz zu managen. Ich versuche, erst einmal ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass der Patient alle Bereiche seines Lebens in Ordnung halten muss, um den Schmerz erträglicher zu gestalten.

Und wie geht das?

Indem man zunächst herausfindet: Was sind die Verstärker der Schmerzen? Stress, Ängste, Beruf, Familie? Der Patient soll lernen, sich im Alltag zu beobachten. Er führt ein Blatt, wo er die Schmerzen mit dem Geschehen um ihn herum in Verbindung bringt.

Dass Stress Schmerzen begünstigt, ist aber doch eine alte Erkenntnis.

Sie umzusetzen, ist aber schwerer. Menschen, die schon lange leiden, haben einen Tunnelblick, sie stecken im Teufelskreis fest: Die Medikamente helfen nicht mehr, die Menschen ziehen sich zurück, die Einsamkeit verstärkt die Depression und die wieder den Schmerz… Vielen Menschen fehlt auch die Fähigkeit zu abstrakter Selbstreflexion. Sie müssen erst lernen, sich abzugrenzen. Zu sagen: Ich bin ich, ich bin nicht der Schmerz.

Wie immunisiert man sich also?

Da gibt es Werkzeuge. Zum Beispiel die progressive Muskelentspannung nach Jacobson: anspannen, loslassen im Wechsel, das desensibilisiert den Körper und reduziert die Schmerzanfälligkeit. Dann Visualisierungsübungen und Genusstraining. Sich schöne Dinge lebhaft in Erinnerung rufen. Einen Aktionsplan erstellen. Rausgehen, lesen, fernsehen. Insgesamt: Distanz herstellen.

Das hört sich ein bisschen hilflos an.

Wir sind oft hilflos. Ein Erfolg ist es schon, wenn der Patient es schafft, den Schmerz in den Alltag zu integrieren. Überhaupt wieder einen Alltag zu finden.

Das Gespräch führte C.-F. Röhrs

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