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„Manche sind mit der Schultüte hergekommen.“: Schnee (t)räumen mit der BSR

Es ist drei Uhr am Freitagmorgen. Auf ins Land der Abkürzungen und Nachtarbeit. Die BSR-Mannschaft arbeitet derzeit verstärkt, wenn es dunkel ist. Und wieder schneit es. Tagesspiegel.de hat einem Räumtrupp und dem Fahrer eines Streuwagens über die Schulter geschaut.

Freitagfrüh, drei Uhr. Eine kleine Exkursion ins Land der Abkürzungen und Nachtarbeit beginnt. Auf dem Hof der Berliner Stadtreinigung (BSR) in der Neuköllner Nobelstraße wirkt es mittlerweile fast wieder verschlafen. Die ersten Fahrzeuge des Frühdienstes sind längst ausgerückt. Der Schnee schlägt gegen die Scheibe des großen Räum- und Streufahrzeugs von Georg Asmuß. „So, ich mach wieder los, ja?“, sagt der BSR-ler und wirft den Motor an. Eigentlich Schlafenszeit. „Man gewöhnt sich dran“, sagt er.

Bereits seit 22 Uhr ist der in BSR-Manier ganz in orange gekleidete Mann auf den großen Straßen Neuköllns und Treptow-Köpenicks unterwegs – bis 6 Uhr dauert seine Schicht. Im Räumkonvoi ging’s in der Nacht schon mit vier Fahrzeugen in der gesamten Breite über die Stadtautobahn. Asmuß klingt stolz, wenn er davon berichtet. Jetzt ist er allein. Besonders an diesem Winter sei, dass er noch vor November angefangen habe: „Meist ist vor Weihnachten nüscht“, sagt der schnauzbärtige Mann in gepflegtem Berlinerisch.

Ein GPS sagt, wo's langgeht

Heute räumt und streut Asmuß zuerst auf der Autobahn zwischen Adlershof und dem Dreieck Neukölln, dann kümmert er sich gesondert um die Auf- und Abfahrten. In BSR-Jargon heißt die Tour „BAB 303“. Obwohl Asmuß fast alle seiner Touren auswendig kennt, weist ihn ein GPS- Gerät minutiös darauf hin, was er zu tun hat: „Nach 70 Metern wenden wo möglich!!!“. Wo genau er pflügt, entscheidet Asmuß allerdings selbst: Liegt auf der linken Autobahnspur noch Schnee, zieht er von rechts rüber. Immer wieder senkt er den Schneepflug auf und ab, schwenkt ihn von einer Seite zur anderen. Mal streut er gleichzeitig, dann wieder nicht. Auf Kreuzungen senkt Asmuß eine Vorrichtung vor dem  Pflug ab, die verhindert, dass der zusammengekehrte Schneematsch auf der Straße liegen bleibt, wenn das Fahrzeug abbiegt. Mal gleitet der Pflug verblüffend leise über den Asphalt, mal rattert er als würde er Löcher in die Straße fräsen. An den Seiten wirbelt fortlaufend Schneematsch in die Höhe.

Während der Fahrt, kommt Asmuß ins Plaudern. Kundenmeinungen hört er nur beim Einkaufen und beim Frisör, sagt er, Gutes wie Schlechtes: „Dauernörgler gibt’s leider immer.“ Angefangen hat der am Montag 57 Jahre alt gewordene Berufskraftfahrer 1968 beim VEB Stadtwirtschaft Ost. Nach der Wende ging das Unternehmen mit der Berliner Stadtreinigung zusammen. Auch an seinem Geburtstag war eine Nachtschicht an der Tagesordnung.

Auftanken: Neustart mit Lauge und Salz

Zwischendurch heißt es für Asmuß auftanken: Nach nur 40 Minuten und 18 Kilometer Streufahrt sind 1615 Kilogramm Salz und fast 700 Liter Lauge verbraucht.  Bis zu 25 Gramm Feuchtsalz pro Quadratmeter streut er auf die Fahrbahn – eine Mischung aus Trockensalz und dreißigprozentiger Calciumchloridlösung.

Wenn der gebürtige Köpenicker allein durch die Nacht streift, arbeiten seine Kollegen in den kleineren Räumfahrzeugen in Teams mit bis zu fünf Mann. Die BSR-ler Wolfgang Binias und Harald Drömert sitzen vorn in dem LKW mit der Aufschrift „KS 448“, auf der Rückbank drei SWK – so genannte Schnee-Winter-Hilfskräfte. Die Arbeiter werden der BSR vom Arbeitsamt vermittelt. Manchmal seien auch Bauarbeiter, die gerade Schlechtwetter haben dabei, sagt Drömert. Jürgen, einer der drei Hinterbänkler, arbeitet bereits seit 10 Jahren als SWK für die BSR. „Weil der Chef die Hand gehoben hat“, sagt der fast 60-Jährige und meint damit die Insolvenz seines früheren Arbeitgebers. Die beiden BSR-ler rechnen bereits mit einer Verlängerung ihrer Schicht. Dann müssten sie nicht von drei bis elf, sondern bis 13 Uhr arbeiten. Noch sei zwar offiziell keine Order gekommen, am Donnerstag sei das aber auch schon so gewesen.

Räumen und Streuen im Fünferteam: Harte Handarbeit

Die SWK dürfen nur acht Stunden arbeiten und werden nach Angaben der BSR-Mitarbeiter abgesetzt, wenn es in die Verlängerung geht. Bei diesem Wetter ist die Truppe an jedem Wochentag im Einsatz. Alle fünf seien sie „Handreiniger“ – offiziell hat die BSR auch hier eine Abkürzung parat: Sie sind SGR – Straßen- und Grünflächenreiniger. Im Gegensatz zu Asmuß’ über 40 Dienstjahren sind Drömert und Binias mit 20 und 25 Jahren Dienst noch relativ neu im Betrieb. „Manche sind hier mit der Schultüte hergekommen, glaub’ ich“, schmunzelt Drömert, auf Asmuß’ Dienstzeit angesprochen.

In den frühen Freitagmorgenstunden räumen die fünf in dem kleinen LKW den Schnee auf  Fußgängerüberwegen rund um die Dörpfeldstraße in Adlershof. Das Auto fährt höchstens 100 Meter, alle steigen aus. Sie nehmen ihre Schneeschippen und Schaufeln vom LKW und legen los: Drei oder vier Mann schieben Schnee, ein oder zwei streuen Granulat auf den Asphalt.

Häufig schieben jeweils zwei oder drei von ihnen den Schnee nebeneinander weg. Die Schaufeln zurück auf den Wagen, wieder einsteigen. Innerhalb einer guten halben Stunde steigen die Männer an die zehn Mal ein und aus. Kaum haben sie sich richtig hingesetzt, macht der erste an der nächsten Kreuzung die Tür auf. Einige Male muss der Fahrer Binias den Schneepflug am Auto verstellen, um an den dicht an dicht parkenden PKW vorbei zu kommen.

Viele Autofahrer parken zu dicht an Fußgängerüberwegen

Die Szenerie wirkt absurd: Der Fünf-Mann-Trupp räumt lediglich die Fußgängerüberwege an den Straßen, also laut Binias den „verlängerten Bürgersteig“. Dies ist laut Straßenreinigungsgesetz korrekt, da Nebenstraßen keine Priorität bei den Räumarbeiten der BSR haben. Die Gehwege sind bis auf wenige Ausnahmen an öffentlichen Plätzen Sache der Hauseigentümer. Als die BSR-ler also wieder abrücken, sind Straßen und Gehwege nach wie vor zentimeterdick von Schnee bedeckt – nur vom Bordstein aus gibt es einige einen Meter breite Schneisen für Fußgänger, gespickt mit schwarzem Granulat, und daneben kleine Schneehaufen. Die Bushaltestellen wiederum fallen zwar seit kurzem in den Zuständigkeitsbereich der BSR, dafür werden aber meist externe Firmen beauftragt.

Binias bemängelt, dass viele Autos zu dicht an den Fußgängerüberwegen parken. Dann könne dort nicht richtig geräumt werden. Fährt das Auto dann weg und jemand stürzt, sei das Problem groß. Um derartige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, trägt Drömert die ganze Fahrt über emsig in eine Liste ein, wo das Quintett gerade räumt: „Es wird alles dokumentiert“. „R+S“ steht in der letzten Spalte seiner Tabelle – für „Räumen und Streuen“. Als letzte Option für diese Spalte steht auf dem Zettel „Eis klopfen“. Drömert lacht und wirkt erleichtert, dass „EK“ heute nicht in seiner Tabelle steht. Auf dem Schoß hat er einen großen Plan, auf dem die zu räumenden Kreuzungen mit kleinen roten Kreisen markiert sind. Pflicht erfüllt.

Die BSR kümmert sich um die Überwege - und der Rest?

Bereits vier Mal ist das Team von Drömert und Binias in diesem Winter vom Ordnungsamt beauftragt worden, um auf Kosten von Grundstückseigentümern zu räumen und zu streuen. Aber an diesem Morgen sieht man auch viele kleine und kleinste Schneepflüge von privaten Dienstleistern, die über die Gehwege sausen. Der Fahrer des großen Räumfahrzeugs, Asmuß, ist empört, als er einen sieht – und man versteht schnell, warum. Während die BSR den Schnee von der Straße fegt, pflügen die kleinen Fahrzeuge das Weiß wieder von den Gehwegen auf die Straße. So gibt sich der Berliner Winterdienst die Hand – und greift aneinander vorbei.

Seit zwei Uhr am Freitagmorgen ist Sabine Liesegang als Einsatzleiterin in der Nobelstraße im Dienst und mit ihrer Truppe auch „noch ne ganze Weile“ unterwegs, sagt sie. Die Schichtverlängerung? „Die gibt’s bestimmt.“ Asmuß hat im Juni oder Juli wieder Urlaub. Wo genau es hingehen soll, weiß er noch nicht, aber auf jeden Fall „Irgendwohin, wo’s warm ist, wo die Sonne scheint und Palmen sind.“

Thordis Meyer

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