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Berlin: Marthashof: Eine Bleibe für "gefallene Mädchen"

Früher ereilte so manches Mädchen aus der Provinz das Schicksal als "Gefallene" zu enden. Sie waren mit dem Versprechen nach Berlin gelockt worden, eine Arbeitsstelle als Hausmädchen oder Serviererin zu erhalten.

Früher ereilte so manches Mädchen aus der Provinz das Schicksal als "Gefallene" zu enden. Sie waren mit dem Versprechen nach Berlin gelockt worden, eine Arbeitsstelle als Hausmädchen oder Serviererin zu erhalten. Um die Mädchen vor "verdorbenen Schlafstellen" und den "verlockenden Ratschlägen böser Menschen" zu schützen, gründete der Pastor Theodor Fliedner 1854 am "Verlorenen Weg", der heutigen Schwedter Straße in Prenzlauer Berg, eine Mägde-Herberge. Später wurde die von Kaiserswerther Diakonissen betriebene Mission um eine Schule erweitert.

Von diesem Marthashof, wie die Einrichtung später genannt wurde, ist nichts mehr übrig. Die Nationalsozialisten schlossen die evangelische Schule, die Gebäude wurden im Krieg zerstört. Eine kleine Ausstellung der Historikerin Gerlinde Tolzmann erinnert daran. Klassenaufnahmen, Fotos vom Unterricht, von den Gebäuden und dem Schulgarten sind zur Zeit in der Zionskirchgemeinde in Mitte zu sehen.

Tausende von Frauen mussten allein in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts in der "Abteilung für Syphilitische weiblichen Geschlechts" behandelt werden. Das Dienstmädchenwesen war damals weit verbreitet, um die 12 000 Frauen arbeiteten in Berlin um 1850 in dieser Anstellung. Mit nur zwölf Betten machte die Mägde-Herberge 1854 auf, 1861 waren es 80. Bald schon wiesen Schilder auf den Bahnhöfen auf das Angebot hin, unterstützten "führende Berliner Gesellschaftskreise" die Einrichtung, ein frühes Beispiel für Sozialarbeit.

Gerlinde Tolzmann hat nicht nur Fotos und Unterlagen zusammengetragen, die sie in einem Buch über den Marthashof und ähnliche Einrichtungen veröffentlichen möchte. Sie veranstaltete auch ein Treffen der letzten Generation ehemaliger Schülerinnen der Elementarschule. Sie sind heute um die 70 Jahre alt und haben nur gute Worte für ihren Marthashof. Streng seien die Schwestern gewesen, aber sie hätten sich sehr für die Erziehung ihrer Schützlinge engagiert. Der Marthashof galt als gute Schule. Die alten Damen erinnern sich an Details wie die Kastanienbäume im Garten, die Tierhaltung und die Schulaufführungen. Zu Ostern 1938 sang der Chor des Marthashofs auf einem letzten Gottesdienst in der Zionskirche. 1943 trafen Bomben die Gebäude an der Schwedter Straße, mehrere Schwestern starben. Die Ausstellung ist nur noch am heutigen und am nächsten Donnerstag, jeweils von 15.30 bis 18 Uhr, sowie am kommenden Sonntag von 11.30 bis 15 Uhr im Gemeindesaal der Zionskirche, Griebenowstraße 16, zu sehen.

tob

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