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Berlin: Martialische Werbung: "Das sieht nach Gewalt aus"

Sie haben Glatzen, wilde Rastalocken oder vermummen sich mit einer Kapuze. Sie treten mit Stollenschuhen nach dem Ball und stürzen sich mit erhobenen Armen auf ihre Gegner.

Sie haben Glatzen, wilde Rastalocken oder vermummen sich mit einer Kapuze. Sie treten mit Stollenschuhen nach dem Ball und stürzen sich mit erhobenen Armen auf ihre Gegner. Ihre Augen sind blutunterlaufen oder zu schmalen Schlitzen verengt. "Kommt her und stellt Euch! Es gibt keine Regeln! Wir gegen den Rest!" - das sind die Sprüche, mit denen der Sportartikelhersteller Nike in diesem Sommer Jugendliche zur "Bezirks Battle" aufgerufen hat. Es geht um Fußball. Nicht um den Mannschaftssport, wie ihn Sportvereine anbieten, sondern ums Bolzen auf eingezäunten und asphaltierten Plätzen - "in den Käfigen von Berlin".

Die Plakat-Aktion ist ein Erfolg: Rund 500 Mannschaften mit je fünf Jugendlichen (und zwei Ersatzspielern) haben in den letzten Wochen in Berliner Sportgeschäften ihre Bewerbungen abgegeben. Die Bezirke sind Partner der Aktion, und das Landesschulamt hatte Ende August Schulen aufgefordert, die Werbeplakate aufzuhängen. Am 9. Oktober beginnt die Vorrunde mit rund 370 ausgewählten Mannschaften.

Unterdessen ist die Nike-Kampagne bei Pädagogen und Sozialarbeitern umstritten. So hat die Neuköllner Kepler-Oberschule die Plakate nach wenigen Tagen wieder abgehängt und einen Protestbrief an das Schulamt geschrieben. "Die in dunklen Farben gehaltenen fratzenartigen Gesichter und aufhetzenden Slogans" stünden im Gegensatz zu ihrem Erziehungsauftrag, befand die Schulkonferenz einstimmig.

Engagierte Lehrer versuchten, die Jugendlichen zu Toleranz und friedlichem Miteinander zu erziehen, sagt Schulleiter Wolfgang Lüdtke. Ein Beispiel ist das über die Bezirksgrenzen hinaus anerkannte Streitschlichter-Training. Die Nike-Kampagne unterminiere diese Bemühungen. Schulsprecherin Zeynep Karaman empfand die Plakat-Motive als "Schwachsinn". "Das sieht nicht nach Spaß aus, sondern nach Gewalt."

Beim Veranstalter sieht man das ganz anders. Nike habe die Jugendlichen in den Bezirken dazu bewegen wollen, mitzumachen, sagt Projektleiterin Anja Höppner. "Das geht nur über ihre Kultur, über ihre Sprache, über ihre Werte." Der Aufruf zum "Bezirks Battle" könnte von Älteren streng nach dem Wörterbuch als Kriegsruf verstanden werden. Jugendliche aber wüssten: Es geht - wie bei DJ- oder Breakdance-"Battles" - um einen Wettbewerb der friedlichen Art. Wer ist schneller und kreativer im Umgang mit dem Ball? Die aggressive Bildersprache werde auch von Graffiti-Künstlern gepflegt. Die Ideen für die Kampagne hätten sich die Nike-Werber bei einer "Feldforschung" in Berliner Bezirken geholt. 1999 unterstützten sie einzelne Teams - Impressionen dieser Arbeit wurden auch in der Kino-Werbung gezeigt.

Die Kreuzberger Sozialarbeiterin Mizza Caric wirft Nike vor, die Stimmung unter den Jugendlichen anzuheizen. "Früher wurde bei sportlichen Wettkämpfen Wert darauf gelegt, dass Fair Play respektiert wird." Bei der Kampagne heißt es nun: "Es gibt keine Regeln" und "Kämpft um die Vorherrschaft in Euren Käfigen." Es sei erschreckend, wie viele Jugendliche sich von der gewaltverherrlichenden Sprache angesprochen fühlten, sagt Caric. Der Landessportbund teilt die Bedenken. Die Nike-Kampagne werde wegen ihres aggressiven Charakters abgelehnt, sagt Claudia Zinke, Vorsitzende der Berliner Sportjugend.

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