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Berlin: Mehr als jeder dritte Wähler wanderte

Wie mobilisiert man 23 000 Berliner, denen die Abgeordnetenhauswahl zuletzt ziemlich egal war? Mit einem „klaren Wertebezug“, sagt Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität: Die Forderung nach Transparenz in der Politik habe wahrscheinlich vor allem junge Nichtwähler dazu gebracht, ihre Stimme den Piraten zu geben.

Wie mobilisiert man 23 000 Berliner, denen die Abgeordnetenhauswahl zuletzt ziemlich egal war? Mit einem „klaren Wertebezug“, sagt Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität: Die Forderung nach Transparenz in der Politik habe wahrscheinlich vor allem junge Nichtwähler dazu gebracht, ihre Stimme den Piraten zu geben. Die Partei dürfte dazu beigetragen haben, dass die Beteiligung wieder bei mehr als 60 Prozent liegt. Doch auch von Grünen und SPD konnten die Piraten 17 000 und 14 000 Stimmen ziehen. Und wegen der Piraten haben die Kleinstparteien („Sonstige“) einen wesentlich geringeren Stimmenanteil als bei früheren Wahlen. Rund 25 000 Wähler aus diesem Spektrum entschieden sich für die neue Partei, so wie auch etliche tausend Erstwähler. Am mageren Abschneiden der Linken haben die Piraten ebenfalls Anteil: 13 000 Stimmen gaben die Sozialisten an die Nachwuchspartei ab.

Niedermayer wie auch Richard Hilmer, Chef von Infratest dimap, erklären sich die Verluste der Linken so: Während die Stammwähler im Osten altersbedingt weniger werden, ist die SED-Nachfolgepartei im Westen der Stadt nicht richtig angekommen. Die Partei habe sich fälschlicherweise auf ihre Ostbasis konzentriert. Wenn die Linke wegen steigender Mieten gegen „Wildwest“ wettere, verkenne man, dass die wirtschaftliche Zuversicht in vielen Weststadtteilen geringer ist als im Osten. „So hat die Linke einem Arbeitslosen in Wedding wenig geboten“, sagte Niedermayer.

Einig waren sich die Experten bei der CDU: Anders als der SPD gelänge es den Christdemokraten nicht, in allen Milieus zu punkten. Der CDU hafte das Image des „alten West-Berlin“ an, als „moderne Großstadtpartei“ gelte sie nicht, auch wenn sie die Stimmen von 30 000 früheren FDP-Wählern bekam. Die CDU gewann vor allem am westlichen Stadtrand. Infratest-Chef Hilmer zufolge habe vor allem die FDP ihr Profil vernachlässigt: Der Ruf nach Law & Order angesichts brennender Autos habe den Liberalen eher geschadet. „Innere Sicherheit ist Stammthema der CDU, die FDP hat da wenig Profil – anders als bei Fragen des Datenschutzes etwa“, sagte Hilmer.

35 Prozent der Wähler hätten eine andere Partei unterstützt als 2006. „Das ist viel und lag vor allem an den Piraten“, sagte Hilmer, „allerdings gab es in anderen Großstädten schon viel dynamischere Wählerwanderungen.“ Hannes Heine

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