Mehr Baustellen der Wasserbetriebe: Berlin wird umgebuddelt
Das Kanalnetz ist so marode, dass mehr saniert werden muss als bisher. Aber dank neuer, grabenloser Technik geht die Buddelei schneller als gewohnt.
Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) stehen auf dem Schlauch – damit die Berliner nicht mehr so arg im Stau stehen, wenn Leitungen erneuert werden. Am vergangenen Wochenende wurde eine 546 Meter lange Kunststoff-Pipeline durch eine mehr als 100 Jahre alte, schmiedeeiserne Abwasserdruckleitung unter der Frankfurter Allee gezogen. Statt einer Großbaustelle samt Vollsperrung genügen bei dieser Technik kleine Gruben auf der rechten Spur.
Auf diese Weise bauen die Wasserbetriebe (BWB) billiger – und deshalb mehr: Lange wurden pro Jahr nur etwa 30 Kilometer des fast 10 000 Kilometer langen Abwassernetzes saniert. Im vergangenen Jahr waren es schon 49, in diesem sollen es 63 sein, in den nächsten jeweils fast 70 Kilometer. Das sagte BWB-Vorstandschef Jörg Simon dem Tagesspiegel.
Mehr Baustellen in kürzerer Zeit
Für die Berliner bedeutet das, dass sie sich auf noch mehr Baustellen gefasst machen müssen. Allerdings geht die Buddelei dezenter vonstatten als gewohnt: Rund 40 Prozent der Abwasserkanäle werden nach Auskunft von Simon inzwischen grabenlos saniert. Bei den Frischwasserrohren sind es rund 30 Prozent, die nicht mehr auf ganzer Länge aufgebuddelt werden. Stattdessen werden „Inliner“, also flexible Kunststoffrohre, von einem Kanaldeckel aus zum nächsten in die vorhandenen Leitungen gezogen. Die Alternative ist „Microtunneling“. Dabei wird eine kompakte Schildvortriebsmaschine auf die Strecke gebracht. Sie benötigt nur eine Start- und eine Zielgrube statt einer längs aufgegrabenen Straße.
Für die Bauindustrie bedeutet die neue Technik sinkende Umsätze und technische Anforderungen, die gerade kleinere Betriebe schwer erfüllen können. Aber den Wasserbetrieben eröffnet sie die Chance, ihr über Jahre vernachlässigtes Netz auf Vordermann zu bringen. Nachdem sie sich seit der Wende auf die Erschließung der Siedlungsgebiete vor allem in den östlichen Bezirken konzentriert und im Jahr rund 50 Kilometer neue Kanäle errichtet hatten, sahen sich die BWB 2011 zum Strategiewechsel gezwungen: 14 000 gravierende Schäden hatten sie im bestehenden Kanalnetz erfasst, dazu zigtausende kleinere. Seitdem wird nicht mehr straßen- oder kiezweise saniert, sondern ausgehend von den großen Schäden. Die kleineren ringsum würden bei dieser Gelegenheit jeweils mit repariert, sagt Simon. Bis 2021 soll das komplette Netz abgearbeitet sein.
An hunderten Stellen werden Proben entnommen
Ob und wie sich kleine Lecks im Abwassernetz (große werden sofort repariert) auf die Grundwasserqualität auswirken, wird lokal nicht erfasst, sondern nur indirekt über das Grundwassermonitoring von Umweltverwaltung und Wasserbetrieben. Dafür werden an hunderten Stellen regelmäßig Proben entnommen. Sicher ist, dass die Wasserbetriebe massiv in ihre Klärwerke investieren müssen – zumal ein Großteil des Wassers in Berlin ein lokaler Kreislauf ist, also aus den Gewässern gewonnen und von den Klärwerken wieder hineingeleitet wird.
Beim Stickstoff zeichnen sich strengere Vorgaben ab, für Phosphor wird laut Simon gerade mit den Verwaltungen in Berlin und Brandenburg ein neuer Grenzwert ausgehandelt. Hinzu kommen relativ neue Verschmutzungen, etwa durch Röntgenkontrastmittel und Medikamentenrückstände. „Weil mehr verschrieben wird und die Messtechnik feiner wird, finden wir auch mehr“, sagt Simon. Er fordert „einen bundesweiten Aufschlag zur Vermeidung“ und die Wiedereinführung der vor Jahren abgeschafften Rücknahmepflicht in Apotheken, damit weniger Rückstände im Abwasser landen.
Der Wasserabsatz ist zwar im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit den 1990ern wieder gestiegen. Aber der Mehrbedarf durch das Bevölkerungswachstum reicht nicht, um das Problem der hohen Grundwasserstände zu lindern, mit denen Hausbesitzer wegen der gesunkenen Förderung durch die Wasserwerke seit Jahren zu kämpfen haben.
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