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Mein Berlin: Angst essen Denke auf

Notizen aus der globalen Stadt von Hatice Akyün

Diese Woche wollte ich über Mode schreiben. Mal etwas mit Leichtigkeit. Die Modewoche ist vorbei, Models und Designer haben die Stadt verlassen, und ich kann wieder mit einem Kleid auf die Straße gehen, das nicht mit neonfarbenen Straußenfedern behängt ist. Wie gerne hätte ich von der Selbstverständlichkeit berichtet, wie mein Vater vor 30 Jahren grau-lila quergestreift so selbstverständlich trug, wie der Finanzbeamte den Pullunder. Oder davon, dass Südländerinnen nicht wie Mitteleuropäerinnen ihre Kleidung der Mode, dem Wetter oder der Bequemlichkeit, sondern ihrer Figur anpassen.

Leider haben die Politiker meine Modekolumne vermasselt. Es will ihnen einfach nicht gelingen, sich auch nur drei Tage am Stück sachorientiert zu benehmen. Prügelszenen auf Postkarten, ein Altsenator, der in Kreuzberg die Subjekte seiner Ergüsse sucht und sich wundert, dass man ihn dort nicht mit Obstkörbchen begrüßt, unsere Kanzlerin auf Stop-and-go-Afrikatour und der Regierende zwischen schnuckeligen Vierlingen. Es scheint, dass sich Politiker, sobald sie den Überblick über wichtige Dinge verlieren, gern medienwirksam ins Schaufenster stellen. Nicht mit Sach-, sondern Flachthemen.

Wie oft kann man eine immergleiche Wahlkampfkampagne reiten, bis sie tot umfällt? Fast jedes Bundesland hat den prügelnden U-Bahn-Migranten nun schon zu Wahlkampfzwecken durchgenudelt. Geht es hier um das Problem oder darum, Angst zu verbreiten, um die Menschen am Nachdenken zu hindern? Worst-Case-Kampagnen führen dazu, dass sich Politik und Politiker wechselseitig in den Dreck ziehen und die Wahlbeteiligung ins Bodenlose stürzt. Wie wäre es, sich einmal um die Gründe zu kümmern, anstatt sie kurzfristig für den Wahlerfolg zu instrumentalisieren und nach dem Wahltag wieder einzumotten?

Wenn ich früher an der Uni wieder einmal zu spät zur Vorlesung kam, antwortete der Professor auf meine Ausrede: „Man entschuldigt sich nicht dadurch, dass man andere beschuldigt.“

Irland, Spanien, Portugal, Griechenland und nun die USA. Die Angst um unsere Währung greift um sich. Man blickt kaum noch durch die von allen Seiten geworfenen Angst-Nebelkerzen. Die haben alle über ihre Verhältnisse gelebt und stürzen uns arme Deutsche nun mit in den Abgrund, wird stammtischverständlich erklärt. Mal davon abgesehen, dass es gerade drei Mal so viele Griechen wie Berliner gibt, stürzen die uns also vom Sockel. Kann es nicht eher sein, dass Banken und ganz vorne deutsche Banken Gelder geliehen haben, damit diese Länder unsere Produkte kaufen und nebenher dort gebaut wurde, was das Zeug hielt, zu Renditeversprechen, die niemand ernsthaft zu erwirtschaften gedachte? Und als das in die Bankenkrise mündete, flogen die Raubritter reihenweise auf. Oder wie es Altkanzler Helmut Schmidt formuliert: „Die Investmentbanker haben uns in die Scheiße geritten.“ Dafür können aber kaum die Griechen und die anderen Europäer etwas. Die Politik hat es schlichtweg versäumt, den umher vagabundierenden Milliarden der Zocker die Zügel anzulegen. Und wenn unser Finanzminister nun von freiwilligen Beiträgen der Banken spricht, verschweigt er, dass genau jene Institute weiter munter mit Kreditversicherungen auf den Niedergang der betroffenen Länder wetten.

Ich will gut regiert werden, von Politikern, die jene Probleme lösen, die ich selbst nicht lösen kann. Die mich als Mensch und Wähler ernst nehmen und nicht versuchen, mich durch geschürte Ängste zu instrumentalisieren. Jeder Hobbypsychologe wird sagen, dass nicht die Sache selbst, sondern die Angst davor uns ohnmächtig macht.

Oder wie mein Vater sagen würde: Serceden korkan dari ekmez – wer den Spatz fürchtet, sät keine Hirse.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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