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Hatice Akyün.

© André Rival

Mein Berlin: In aller Freundschaft

Busenfreundin, Walker und Essensbegleiter - Unsere Kolumnistin Hatice Akyün über echte und nicht ganz so echte Freundschaften.

"Liebe geht, Freunde bleiben“, sagte neulich ein Freund, der sich immer wieder in Beziehungen probiert. Dieser lakonische Kommentar hat mich dazu bewegt, den Begriff Freundschaft auf den Prüfstand zu stellen. Bei genauer Betrachtung deckt Freundschaft ein weites Feld ab. Wenn ich meine Sozialkontakte nehme und mein Bedürfnis nach Harmonie noch obendrauf gebe, bin ich umzingelt von Freunden. Ich habe eine Busenfreundin, mit der ich über Männer rede, Freunde, mit denen ich neue Restaurants der Stadt ausprobiere, und Walker, die mich auf Partys begleiten. Jeder hat sein Plätzchen, und jeder ist willkommen, der meine Gesellschaft, meine Art und meine Direktheit aushält. Wir haben einen guten Umgang miteinander, angenehme Gespräche, positive Erlebnisse und identische Interessen, aus denen sich die Schnittmenge unserer Freundschaft speist. Zugegeben, diese Zeitgenossen kennen nur meine Schokoladenseite, so wie ich nur die ihre kenne. Mal ernsthaft gestritten, sich überworfen, mit Verve Emotionalität in die Waagschale geworfen, Grenzen des Miteinander ausgetestet? Eher nicht. So geht man freundschaftlich und interessengelenkt harmonisch miteinander um, aber von echter Freundschaft zu sprechen, fällt mir schwer.

Es gibt noch eine Art von beruflicher Zugewinngemeinschaft, die unter den Begriff Freundschaft fällt. Man verfolgt ein gemeinsames Ziel, an dem man eng und vertraut miteinander arbeitet. Man leidet unter demselben Gegner, man teilt das Leiden an einer gemeinsam empfundenen Ungerechtigkeit und versucht, sie zusammen abzuwenden. Man ist daran interessiert, zum gegenseitigen Nutzen weiterzukommen, mit den eigenen Stärken dem anderen zu helfen oder von den Fähigkeiten des anderen zu profitieren, damit man zu zweit ein Ziel besser erreicht. Seilschaften heißt diese Kategorie. Aber sind das echte Freunde?

Ich komme unter anderen darauf zu sprechen, weil ich diese Woche ein Interview gesehen habe, in dem unser Staatsoberhaupt sagte, er wolle nicht Bundespräsident in einem Land sein, in dem man sich von Freunden kein Geld mehr leihen dürfe. Ich habe mir auch schon Geld von Freunden geliehen und Geld an sie verliehen – in einem Rahmen, der kein schriftliches Festhalten erforderte. Über vermögende Freunde verfüge ich nicht. Aber macht das einen Unterschied?

Die wenigen handverlesenen, krisenerprobten, unerschütterlich zu mir Stehenden sind rar gesät. Die waschen mir manchmal auch brachial den Kopf, wenn ich abhebe, bringen mich an die Grenzen meiner Argumentationsfähigkeit und kurbeln mit ihren kritischen Einwänden die Effizienz meines Hirns dermaßen an, dass ich regelmäßig erschöpft niedersinke. Aber all das hat seinen Lohn: Sie würden mich nie – Pardon für den direkten Ausdruck – in die Scheiße reiten.

Aber Freundschaften wollen auch gepflegt werden. Freunde sind Verwandte, die man sich selbst aussucht. Fast in jeder Sprache gibt es das Sprichwort: „Zeig’ mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist.“ Ohne werten zu wollen: Wer der Selbstsuggestion erliegt, berufliches Prestige mit Freundschaft zu verwechseln, wird irgendwann auf den harten Boden der reinen Funktionalität solcher Verbindungen aufschlagen.

Silvester habe ich übrigens auf Einladung einer Freundin in einem Luxushotel in Antalya verbracht. Es war schön und teuer – für meine Verhältnisse. Die Einladung wird mich aber nicht den Kopf als Kolumnistin kosten, weil die Kosten von meinem Konto abgebucht wurden. Die freundschaftliche Geste, ein Teil ihrer Familie sein zu dürfen, in ihre herzliche Mitte aufgenommen zu werden, ist ohnehin unbezahlbar. Oder wie mein Vater sagen würde: „Arkadaslik pazara kadar degil mezara kadardir“ – Freundschaft hält nicht nur bis zum Markt, sondern bis zum Grab.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin.

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