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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Mein Berlin: Schule und Geldbeutel

Laut einer Studie ist Berlin im bundesdeutschen Schulvergleich das Schlusslicht. Berlin musste schlecht abschneiden, sagt unsere Autorin, und fragt nach dem Zusammenhang von Geld und Bildung.

Für eine Mutter, deren Kind im nächsten Jahr in Berlin eingeschult wird, ist die neue Studie von Bildungsforschern niederschmetternd: Berlin ist im bundesdeutschen Schulvergleich das Schlusslicht. Nun haben negative Botschaften den Vorteil, sich viel schneller im Bewusstsein festzusetzen als positive. Diese spezielle Studie ist so angelegt, dass Berlin schlecht abschneiden musste. Zuerst kommt die Utopie der Forscher, dass Bildung im direkten Zusammenhang mit Wirtschaftswachstum stehen soll. Berlin könnte das beste Bildungssystem haben, die potenziellen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum der Stadt sind nach den Indikatoren trotzdem nicht hinreichend vorhanden. Es gibt einen Zusammenhang von guter Bildung und guten Wachstumsperspektiven für die Wirtschaft, aber die Schlauen und Gebildeten brauchen auch einen fruchtbaren Acker, auf den sie fallen können. Wo Brache ist, packt man den Koffer und geht dorthin, wo es mehr Möglichkeiten gibt.

Sachsen und Thüringen, jene Bundesländer, die in der Studie am besten abgeschnitten haben, verfügen über eine Geburtenrate, die mit dem Vatikanstaat konkurriert. Dadurch haben sie stark abnehmende Schülerzahlen und somit bessere Betreuungsrelationen. Und sie haben kaum Migranten, weshalb statistisch gesehen weniger Bildungsabbrecher abgebildet werden können. Aber die Formel „Keine Kinder und keine Migranten ergibt ein gutes Bildungssystem“ ist gerade auf wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten deutlich zu kurz gesprungen.

In den letzten zehn Jahren haben die privaten Schulen 40 Prozent mehr Schüler aus den öffentlichen Schulen abgeworben. Wer Geld hat, bekommt auch die bessere Bildung. Wenn die leistungsfähigeren Schüler aber den öffentlichen Schulen verloren gehen, sinkt das Bildungsniveau und der Druck auf die Eltern steigt, ihre Kinder in die privaten Rettungsboote zu setzen. Die Politik versucht zwar dem entgegenzusteuern, aber wirklich überzeugend wirkt das nicht. Neulich habe ich in einem TV-Nachrichtenmagazin gesehen, wie Eltern aus Berlin-Mitte sich mit Unterstützung eines Rechtsanwaltes dagegen wehrten, dass ihre Kinder auf eine Schule kommen, in der auch Kinder aus bildungsfernen Schichten unterrichtet werden. Ist es also legitim, dass Eltern das Beste für ihre Kinder herausholen wollen und sich genau aussuchen, wo ihre Kinder zur Schule gehen? Keine sozial Schwachen, keine Migranten? Und was bedeutet das für den Bildungsaufstieg? Würde ich, die auf einer Hauptschule war, heute dank engagierter Lehrer mein Abitur nachmachen und studieren können? Dazu bedarf es einer Bildungsreform, von der alle etwas haben. Hamburg und die Abstimmung über die Schulreform machen aber deutlich, dass es dazu wohl nicht kommen wird.

Heute haben wir für jedes Detail im Bildungsbereich Studien. Was wir aber nicht haben, ist ein verlässlicher Plan, der das Vertrauen der Eltern stärkt. Wir haben ausgebrannte Lehrer und unselbstständige Schulen. Wir haben Modellversuche, vollmundige Erklärungen und kleinste Fortschritte. Aber der überfällige Konsens, dass man für gute Bildung alles einsetzen muss, weil man dadurch die Sozialkosten von morgen einspart, ist entweder noch nicht hinreichend durchgedrungen oder es ist den Verantwortlichen schlichtweg egal, was mit den nachkommenden Generationen passiert.

Was mache ich nun mit meiner Tochter im nächsten Jahr? Gehe ich den Weg des Geldbeutels oder fasse ich Vertrauen in meine Politiker? Oder wie es mein Vater sagen würde: „Gündüz kandilini hazirlamayan, gece karanliga razi demektir“ – „Wer seine Kerze nicht am Tag vorbereitet, muss sich am Abend mit der Dunkelheit zufriedengeben.“

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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