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Berlin: „Meine Eltern waren geschockt“

Er ist der Sohn des ehemaligen US-Stadtkommandanten. Berlin und das Kindermädchen inspirierten John Cameron Mitchell zu seinem Musical.

Sein Vater John war US-Stadtkommandant bis zum Fall der Mauer. Für die Titelfigur seines Musicals wurde Regisseur John Cameron Mitchell, 39, inspiriert vom Kindermädchen der Familie, die eine Prostituierte war. Als Kinofilm war es ein Überraschungserfolg der Berlinale. Nächste Woche kommt „Hedwig and the Angry Inch“ in die Stadt, aus der die Hauptfigur stammt: Berlin.

Ihre Hauptfigur ist Berliner. Ihr Vater war US-Stadtkommandant. Haben die Erfahrungen in der Stadt Ihr Musical inspiriert?

Unbedingt.

Wie?

Ich war zu Besuch bei meinen Eltern und ging oft in Kreuzberg aus, in die Oranienbar, wo ich viele linke, autonome oder punkige Männer kennenlernte, die ich mit in die Villa meines Vaters brachte, in der Pacelliallee.

Kreuzberger Punks in der Villa des US-Stadtkommandanten in Dahlem?

Ja, das war lustig. Es waren ja solche Leute, die normalerweise Eier nach meinem Vater werfen würden. Und dann saßen wir da in dieser unglaublich großen Villa, mit den Hausangestellten, und aßen Eier-Soufflé. Und meine Freunde waren ganz angetan von meinem Vater. Er kann nämlich sehr charmant sein…

Die Titelfigur Hedwig schufen Sie nach dem Abbild einer ehemaligen Hausangestellten…

Sie hieß Helga, war Deutsche, geschiedene Soldatenfrau, und wusste nicht so recht, wohin. Da hat sie mein Vater angestellt, und sie kümmerte sich liebevoll um meinen kleinen Bruder. Sie hatte lange Haare und rauchte die langen, billigen Zigaretten, 120er, wie wir sie nannten. Und sie hatte verdächtig viel Herrenbesuch in ihrem Wohnwagen.

Verdächtig?

Wie sich später herausstellte, arbeitete sie nebenher als Prostituierte.

Was hat Ihr Vater, der Armee-General, gesagt, als er Ihr Stück das erste Mal sah?

Meine Eltern haben es zuerst gesehen, als wir in einem sehr frühen Stadium waren. Und ich glaube, sie waren beide geschockt.

Wieso?

Meine Mutter meinte, es sei vulgär. Mein Vater aber, denke ich, hat den emotionalen Kontext sofort verstanden und war berührt, wie sehr Berlin in dem Stück eine Rolle spielt. Später, als wir das Stück verfilmt hatten, und wir Standing Ovations beim Sundance-Filmfestival hatten, waren beide sehr stolz.

Zur Vorführung Ihres Films waren Sie ja 2001 dann noch einmal in Berlin.

Ja, bei der Berlinale 2001 gewann ich den schwul-lesbischen Filmpreis „Teddy“. Nach der Vorstellung im Zoo-Palast gratulierten mir Freunde meines Vaters. Ich musste die beiden nach den n fragen. Es waren Anne und Walter Momper.

Nach seinem Erfolg in Berlin ist Ihr Film in der ganzen Welt gelaufen, außer in Deutschland.

Ja, das ist sehr traurig. Der Arthaus-Filmverleih hatte die Rechte für die deutschen Kinos gekauft, geriet aber im Zuge der Kinowelt-Schwierigkeiten in eine Schieflage und konnte den Film nicht mehr starten. Jetzt hat Warner Brothers Deutschland die Rechte, will den Film aber nicht zeigen.

Umso wichtiger, dass das Stück bei uns nun als Original zu sehen ist. Hedwig kommt nach Hause…

Ja, darüber bin ich sehr glücklich. Ich habe seit drei Jahren daran gearbeitet, das Stück endlich auch in Berlin zu zeigen.

Wieso dauerte das so lange?

Produktionsprobleme. Die Rechte an dem Musical für den deutschsprachigen Raum hatten wir an Leute verkauft, die es zunächst in Köln herausbrachten und an einen gigantischen Erfolg glaubten. Nun, „Hedwig“ ist ein großer Erfolg, aber es ist eben kein „Cats“. Jedenfalls wollten diese Leute dann das Stück nicht mehr weiter aufführen.

Off-Broadway in New York hatte Ihr Stück hingegen jahrelang großen Erfolg. Wie erklären Sie sich das?

Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Zunächst ist es eine Rock-Show, die weniger an Musical- als an Nachtclub-Traditionen anknüpft. Durch die Ausstattung erinnert es an die großen Zeiten des Glamrock. Und es erzählt die Geschichte eines Ausnahmecharakters. All das spricht New Yorker an.

Hat Sie der Erfolg überrascht?

Und wie. Vor allem, als Leute wie Madonna im Publikum saßen. Aber noch überraschter bin ich, dass das Stück nach wie vor in aller Munde ist. Und es taugt immer noch dazu, dass ich viele interessante und attraktive Leute kennen lerne.

Bei den Proben in Berlin sind Sie aber nicht dabei.

]Ich mische mich ungern ein. Aber ich bin sicher, dass die Leute das sehr gut machen. Auch der Ort, das Glashaus im Osten, nahe der ehemaligen Mauer, ist sehr passend.

Werden Sie zur Premiere kommen?

Nein, da bin ich auf einem Homo-Hippie- Happening in Tennessee. Aber ich werde im November vorbeischauen. Meine Eltern werden vielleicht zur Premiere dabei sein.

Ihr Vater ist wieder in der Stadt?

Ja, er kommt, um Anfang Oktober einen letzten symbolischen Stein in eine Skulptur zu setzen, die Präsident Bush Senior der Stadt geschenkt hat.

Das Gespräch führte Matthias Oloew.

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