zum Hauptinhalt
Unter die Haut. In dem Studio an der Schönhauser Allee machten viele für den humanitärem Zweck mit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Menschenrechte: Recht am Tattoo

Kunst und Politik verbinden: 6773 Menschen auf der ganzen Welt lassen sich je einen Buchstaben tätowieren. Am Schluss soll daraus die Erklärung der Menschenrechte entstehen. 48 Berliner machten mit.

Nina hat ein L gezogen. Dieser Buchstabe wird sie nun für den Rest ihres Lebens begleiten. Die dunkelhaarige junge Frau grinst. „Wenn mich Leute darauf ansprechen, dann kann habe ich immer eine Geschichte zu erzählen“, sagt die 24-Jährige. Die Geschichte ist keine geringere als die der Menschenrechte. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, lautet der erste Satz der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. 6773 Buchstaben hat sie, und das Kunstprojekt „Human Rights Tattoos“ aus den Niederlanden hat sich eine besondere Bedeutung überlegt, diese in die Welt zu tragen: 6773 Menschen sollen sich tätowieren lassen, jeweils einen Buchstaben.

„Einen Quadratzentimeter deiner Haut für die Menschenrechte“ lautet das Motto der Aktion, die durch Amnesty International unterstützt wird. Mehr als 1000 Menschen aus 36 Ländern haben sich schon einen Buchstaben stechen lassen. Am Mittwochnachmittag waren 48 Berliner dran, die sich im Tattoostudio mit dem klangvollen Namen „No Pain No Brain“ in der Schönhauser Allee einen Hautfleck verschönern lassen wollten. Drei Tätowierer machten sich ans Werk, das umzusetzen, was sich der Künstler Sander van Bussel einst ausgedacht hat.

Sander van Bussel möchte Menschen verbinden

Die Idee kam dem Niederländer vor eineinhalb Jahren, als sein kenianischer Künstlerfreund und Aktivist „Nyash“ in Nairobi ermordet wurde. Die Menschenrechte gelten zwar für jeden Menschen auf der Welt, sie könnten aber nur dann anerkannt und geschützt werden, wenn auch jeder Mensch sie kenne, sagt er. Sich einen Buchstaben daraus tätowieren zu lassen, sei wie eine Unterschrift unter die Erklärung.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte haben die Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verkündet. Seitdem wurde sie in mehr als 300 Sprachen übersetzt. Die Erklärung umfasst 30 Artikel, in denen die Rechte eines jeden Menschen festgelegt sind, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion oder sozialem Stand. Jedes Jahr am 10. Dezember wird auch der Internationale Tag der Menschenrechte begangen.

Der Künstler Sander van Bussel hat sich die Aktion ausgedacht - und reist mit
Der Künstler Sander van Bussel hat sich die Aktion ausgedacht - und reist mit

© Lea Runge

Van Bussel ist in jeder Stadt, in der tätowiert wird, dabei. „Das lasse ich mir doch nicht entgehen", sagt er und lacht. Seit er das Projekt 2012 gestartet hat, reiste er bereits nach Spanien, Kenia und Südafrika. Beendet sei es erst, wenn der komplette Text der Menschenrechtserklärung tätowiert worden sei. „Das kann noch fünf Jahre dauern. Doch wir haben keine Eile“, sagt er. Aber dann werde es auf der ganzen Welt Menschen geben, die einen Buchstaben aus der Erklärung auf der Haut tragen. "Diese Menschen werden für immer miteinander verbunden sein." Das Gefühl, ein Teil von etwas zu sein, ist der häufigste Grund für ein Human Rights Tattoo, den man an diesem Nachmittag hört.

Für viele ist es das erste Tattoo

Theresa Kunze wollte schon lange ein Tattoo haben. An der Wahl des Motivs sei es aber immer gescheitert. "Für ein Human Rights Tattoo wäre ich sogar nach Amsterdam gefahren", sagt die 24-Jährige. Doch jetzt ist sie hier. Sie legt sich auf eine Liege. „Bloß nicht zucken", sagt Tätowiererin Stefanie Schmidt. Ein Summen ertönt. Dann drückt sie die Nadel in die Haut. Nach zehn Minuten steht Theresa wieder auf. Der erste Blick fällt in den Spiegel. Dann ein zufriedenes Lächeln. Ein schwarzes H prangt auf ihrem Rippenbogen.

Den Buchstaben aussuchen können sich die Teilnehmer nicht. Sie werden in der Reihenfolge der Erklärung tätowiert. Wer also nicht zufrieden mit seinem Buchstaben ist, kann einfach mit jemandem in der Schlange tauschen. Nina ist zufrieden mit ihrem L. „Es war eine Kurzschlussreaktion“, sagt sie. „Als ich davon gehört habe, bin ich sofort hergekommen." Sie hatte Glück: Schon seit mittags warten Menschen, die meisten sind Frauen, vor dem Laden. Die 48 Plätze sind schnell weg. Größe, Form und Körperstelle sind jedem selbst überlassen. Auf dem Fuß, am Zeigefinger oder hinter dem Ohr - die Vorlieben sind ganz unterschiedlich.

Die beliebtesten Stellen seien Handgelenk und Finger, sagt Toni-Louise Diggines, die gerade einer Frau ein A tätowiert.

Sie findet die Idee der Human Rights Tattoos toll, einen eigenen Buchstaben möchte sie aber nicht haben. „Ich habe schon so viele Tattoos, auch Buchstaben, da hätte ein weiterer keine große Bedeutung", sagt sie.

Für viele hier ist es das erste Tattoo – und jeder zahlt, so viel er möchte, um die Aktion zu unterstützen. Als Belohnung gibt es sogar ein Foto auf der Website. Dort gibt es alle Buchstaben in der richtigen Reihenfolge.

Lea Runge

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false