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Berlin: Merabi Kakouberi

Mit seiner Kochkunst bedankte er sich bei den Gönnern

Die Eroberung des Weltraums durch den Kosmonauten Juri Gagarin wurde im Frühjahr 1961 im großen Sowjetreich und also auch im kleinen Georgien wochenlang gefeiert. Zu jener Zeit erwartete in Suchumi, einer georgischen Hafenstadt am schwarzen Meer, die Familie Kakouberi ihr zweites Kind. Der ersehnte Sohn kam, und Merabi wurde er genannt, „der Eroberer“.

Merabi entwickelte sich prächtig, und sein Charme, vermischt mit dem ererbten Geschick des Vaters, gaben dem Kind alles, ohne je danach gefragt zu haben. Der Vater, ein Angestellter in der Fabrik, aus der Josef Stalin seinen Lieblingscognac erhielt, starb früh. Sein Herz war zu klein, hieß es. Die junge Mutter mit Tochter und Sohn hatte es schwer; die Pension reichte nicht fürs gute georgische Essen und das Haus mit dem weiten Blick übers Meer. Aber Merabi, dem Knaben von acht Jahren, gelang es, das Herz des Schnapsfabrikvorsitzenden zu erweichen: Fortan erhielt die Familie monatlich zwei Kartons von Stalins Lieblingstropfen. Die verkauften sie und konnten weiterleben wie gewohnt.

Nach dem Abitur ging Merabi nach Estland, um Landschaftsarchitektur zu studieren. Dort entdeckte er seine Leidenschaft für die Männer. Weil er fürchtete, dass seine Mutter für derlei Gefühle wenig Verständnis aufbringen würde, entschied er sich zu einer Alibiheirat. Der Mutter tat es leid, dass die Ehe kinderlos blieb.

In Moskau war das Leben der Bohème und der etwas anders Gearteten einfacher zu führen, deshalb begab sich Merabi nach dem Studium dorthin. Doch die Sehnsucht zu Mutter und Schwester, zu den Freunden, zur georgischen Küche und zum Meer trieben ihn wieder nach Hause.

Dort mussten seine Neigungen unerfüllt bleiben. Er rauchte zu viel und trank zu viel. Eines Tages hielt er ein Magazin in Händen, in dem es um die „Loveparade“ im fernen, deutschen Berlin ging. Die Bilder dieser bunten, sorglosen Welt erfüllten Merabi mit Fernweh und neuem Lebensmut. Dort wollte er hin, dort wollte er ungezwungen sein und frei. Es war der Beginn der neunziger Jahre, eine unruhige, gefährliche Zeit in Merabis Heimat – ein weiterer Grund, das Land zu verlassen.

Die neue Sprache in Berlin zu lernen, das fiel ihm leicht. Viel leichter, als hier sein Geld mit der georgischen Küche zu verdienen, wie er es sich vorgenommen hatte. Er verdingte sich als Stadtführer und geselliger Mittelpunkt, dem es immer wieder gelang, geneigte Unterstützer zu begeistern.

Der Erfolg seines Charmes und sein Glück, ohne zu fragen, alles zu bekommen, hemmten seinen Ehrgeiz und förderten seine Lebensgier und Egozentrik. Immerhin, mit seiner Kochkunst bedankte er sich regelmäßig bei den Gönnern. In seinem winzigen Appartement am Savignyplatz zauberte er Speisen, deren Namen so klangen, als handle es sich um Heerführer aus der persischen Mythologie: Adschapsandali, Chatschapuri oder Tschurtschella.

Nur die Sehnsucht nach seiner Mutter beschwerte Merabis Seele. Der erste Besuch in Georgien machte ihn lange krank. Das Haus war zerbombt, Freunde waren im Bürgerkrieg umgekommen, die Mutter lebte verschreckt und notdürftig bei Bekannten. Sie folgte dem Sohn nach Berlin, wo auch schon seine Schwester wartete.

Im späten Sommer 2010 reiste er noch einmal nach Suchumi, Freunde besuchen, die zurückgekehrt waren und andere, die nie weg gewesen waren. Und sie feierten sich und das Leben, und dass es irgendwie doch immer weitergeht, für die meisten jedenfalls. Spät in der Nacht, nach einer Feier, wollte Merabi per Telefon ein Taxi rufen. Er wunderte sich über die vielen Fragen der vermeintlichen Taxizentrale. In seinem fröhlichen Weinrausch hatte er sich verwählt. Er war an ein Bestattungsunternehmen geraten.

Wer hätte gedacht, dass Merabi, dieser fröhliche Georgier wenige Monate danach und in Berlin tatsächlich vom schwarzen Auto abgeholt werden musste. Von seinem Vater hatte er nicht nur das Geschick geerbt, sondern auch das schwache Herz. Jacob Manthey

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