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Molkerei. In Halle 3.2 befindet sich der „Erlebnisbauernhof“ – in Halle 1 die „Erlebniswelt Heimtiere“. Foto: dapd

© dapd

Messerundgang: Kindl, Käse, Krasnoarmejskij

Die Grüne Woche hat sich in den Messehallen neu sortiert – und ist wieder ein Stück nach Osten gerutscht. Ein Rundgang.

Egal, wo der Rundgang beginnt: Dies ist eine andere Grüne Woche. Nicht vom Inhalt her, nein, denn der Trend vom globalen Agrar-Schaufenster zur Regional- und Osteuropamesse geht zügig weiter. Doch in diesem Jahr läuft der Rundgang irgendwie anders, wenig steht noch dort, wo es der Stammgast in vielen Jahren zu suchen gelernt hat. Das liegt wohl vor allem daran, dass die Bundesländer sich nicht mehr auf eine gemeinsame Halle verständigen konnten und nun mit unterschiedlich großen Auftritten faktisch aufeinander losgehen.

Konkret hat man sich das so vorzustellen, dass Nordrhein-Westfalen einen Tänzer zu schrillem Salsa-Playback auf die Bühne schickt, während gleichzeitig für Sachsen eine Dixieland-Kapelle trötet und in Bayern ein Experte über die Vorzüge der Forellenteichwirtschaft referiert – schön schrill. Berlin hat sichtbar Schwierigkeiten, sich dieser Konkurrenz zu stellen und wirkt mit seinem Mischmasch aus Florida-Eis, Kindl und Döner ein wenig disparat, chancenlos gegen die konzentriert mit der großen Kelle ausgereichte brandenburgische Gemütlichkeit, den machtvollen Auftritt Sachsen-Anhalts oder die subtile Nostalgie Thüringens, wo man mit einem quietschgelbgrün gespritzten Wartburg-Cabrio für seine notorischen Klöße wirbt.

Wichtig: Rumänien. Das diesjährige Gastland hat eine Halle für sich – und gewisse Schwierigkeiten, sich dem europäischen Markt geschmeidig anzupassen. Gläser mit der Aufschrift „Salata da Icre de Crap“ erschließen sich dem Konsumenten nicht unmittelbar, und auch Wurstspezialitäten wie „Moos des Bären“ und „Dynamit“ vermag man sich in deutschen Supermärkten nur schwer vorzustellen. Generell aber liegt hier Potenzial: Viel Geräuchertes, Käse, Honig Schnaps, Pflaumenmus – das Land ist im Grunde ein zweites Brandenburg, aber mit Wein. Und natürlich mit Folkloretruppen in Pumphosen und rot bestickten Westen, wie sie auch am bulgarischen Stand vorkommen, wo sie allerdings bedeutend mehr Lärm machen.

Jeder Stammgast liebt die Blumenhalle, allerdings gestaltet sich der Zugang von Jahr zu Jahr verwinkelter. Am Startmorgen war der Architekt gerade dabei, sein Konzept zu erläutern, es läuft ungefähr darauf hinaus, dass der Lagerplatz einer Baustofffirma von verrückten Gärtnern bepflanzt wurde, es grünt und blüht zwischen Bauwagen, Betonmischern und Gummistiefeln. Ambitioniert ist das, aber nur wenig anheimelnd, das zeigt sich daran, wie die Holländer auf einem Bruchteil der Fläche bedeutend mehr Blütenseligkeit inszenieren; überhaupt gebührt ihnen eindeutig der Durchhaltepreis der West-Berliner Jury. Denn der ganze weite Westen ist vergangen und vergessen, geschrumpft auf Hot Dogs, Parmaschinken und Sommerhauskataloge, nur Holland hält die Stellung, assistiert von der Schweiz und Norwegen.

Den seltsamsten Kosmos präsentiert uns wieder das große Russland, das wieder in Gestalt von Unterrepubliken auftritt, die vermutlich jedes Jahr für die Grüne Woche neu gegründet werden. Baschkortostan, Mordowien und der Bezirk Krasnoarmejskij beispielsweise zeigen Produkte, sehr häufig geräuchert, geselcht und gebrannt. Aber auch die Fans kyrillisch beschrifteter Duschgels kommen auf ihre Kosten, und das Restaurant Peterhof bietet, zeitgemäß, „all you can eat“ für 12 Euro 99. Generell scheint sich auf der Grünen Woche aber ein Comeback der Restaurants mit Bedienung anzudeuten, beispielsweise gibt es im „Budapest Bistro“ Zander vom Balaton mit Pilzstrudel, und die Schweiz fährt wieder Tonnen von Käse auf, geadelt in Gerichten mit unglaublich vielen „ch“ und „ü“.

Königin der Messe ist freilich Agrarministern Ilse Aigner, die ihren Rundgang mit dem ersten Hahnenschrei beginnt. Zwischendrin wird sie von Tierschützern angegiftet, die gegen die offenbar ziemlich unappetitliche Kaninchenmast protestieren, das steckt sie routiniert weg und ist wieder ganz fröhlich, als sie ihr ureigenes Biotop, den großen Empfang der Bayern, erreicht.

Dort strahlt sie, als müsse sie nebenbei auch noch Weinkönigin und First Lady darstellen, und als der mit seinem Amt fest verwachsene Bauernpräsident Sonnleitner in den Bierzeltmodus schaltet und durch das aufsteigende Bierdunstgemurmel mit schneidender Stimme die Segnungen des Nährstands beschwört, da ist ihr auch das nichts als ein wahres Vergnügen.

Überhaupt, Bier. Die Hähne zischen ab früh um zehn, mehr Etiketten sind nirgends, da kann sich der Weintrinker nur zag abwenden. Die deutsche Wein- und Sektgalerie, jahrzehntelang in Halle 22 festgewachsen, wurde auch konsequent irgendwo zu den Staubsaugern und lautlos schließenden Garagentoren entsorgt, kein Thema mehr für niemand.

Der Genießer muss sich also anderen Freuden zuwenden, etwa dem Gesamtkunstwerk der Halle 7.2b, wo sich aus dem Aroma von Apfelessig, Dufthölzern, Kreuzkümmel und Brustkaramellen ein unvergleichliches Parfüm erhebt, oder den Simmenthaler Rindern, die in ihrer frohwüchsigen Simplizität das Vieh der Stunde sind. 1424 Kilogramm wiegt der Fleckviehbulle gleich vorn, und er trägt einen seltsam beziehungsreichen Namen: Hoeness PP. Uli oder Dieter? Das bleibt im Dunkeln – wohl auch besser so.

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