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Berlin: Michael Döhmland (Geb. 1953)

Von einem, der auszog, das Leben nachzuholen

Die Zeit vorher wollte er am liebsten vergessen, denn die letzten Jahre waren die besten. Er malte Bilder, pfiff als Schiedsrichter, war Optimist, trotz seiner kargen Frührente. Dann holte ihn alles wieder ein und ihm blieb nichts übrig, als sich von dem zu verabschieden, was er zuletzt gewonnen hatte.

Über seine Vergangenheit hat er kaum gesprochen. Nur Andeutungen, mit mehr ist er nicht rausgerückt. Als er zwölf war, kam er mit einer Sporturkunde nach Hause, er gewann oft welche, und sein Vater war stolz auf ihn. Doch an diesem Tag war kein Vater mehr da, er war gestorben, ganz plötzlich.

Michael Döhmland wurde Polizist. In den siebziger und achtziger Jahren schickte man ihn in Straßenschlachten, den Knüppel voran. Eigentlich, so sagte er später, stand er auf der Seite der linken Demonstranten.

Das sei einer der Gründe gewesen, warum er mit dem Trinken anfing. Er trank so viel, so lange, dass er sich verlor und alles, was er hatte, seine Frau, seinen Sohn, seine Existenz. Am Ende lebte er auf der Straße. „Ein Edelpenner war ich“, sagte er. Eigentlich war er so gut wie tot, bis er bei einer Therapie die Malerei entdeckte.

„30 Jahre meines Leben habe ich vertan“, sagte er. Die Bilder haben ihn zurückgeholt. Durch sie wurde er wach. Er richtete sich ein Atelier ein und malte, kräftige Farben, abstrakte Linien. Manchmal verkaufte er Bilder an seine Freunde, bei einer Ausstellung oder auf dem Kunstflohmarkt. 20 Euro nahm er, hin und wieder etwas mehr. Wichtiger waren ihm die Gespräche über seine Bilder, die man drehen konnte. Je nachdem, wie rum man sie betrachtete, sah man etwas anderes. Er wollte wissen, was die anderen darin entdeckten. Dinge ändern sich, so wie er sich auch geändert hat.

Was ihm blieb, war seine Leidenschaft, als Schiedsrichter auf dem Fußballplatz zu stehen. Bis zu 90 Spiele pfiff er pro Jahr, zwei bis drei in jeder Fußballwoche. Seine Kollegen brauchten ihn nur anzurufen, und schon kam er, fuhr mit den Öffentlichen zu den entlegensten Sportplätzen von Berlin. Ärger gab es bei seinen Spielen fast nie, ruhig und mit einem freundlichen Grinsen beruhigte er auch die Hitzigsten unter den Spielern. Einmal gelang ihm das nicht, da wurde er von der einen Mannschaft quer über den Platz gehetzt, während die andere ihn vor den Schlägen und Tritten zu schützen versuchte. Am Ende musste die Polizei kommen. Doch das hielt ihn nicht davon ab, weiter zu pfeifen, selbst dann nicht, als bei ihm der Krebs diagnostiziert worden war. Immer wenn er aus der Charité kam und eine Behandlung oder eine Chemotherapie hinter sich gebracht hatte, rief er als Erstes den Organisator vom Verein an: „Welches Spiel kann ich als nächstes pfeifen?“

Als seine Haare ausfielen, ließ er sich eine Glatze rasieren. Einen kleinen Zopf am Hinterkopf ließ er stehen, für den er regelmäßig zum Friseur ging. So ging er mit der Krankheit um; er sah sie als Prüfung, als eine Rechnung für sein altes Leben, die er zu begleichen hatte. Und immer sagte er, dass es ihm schon viel besser gehe. Er schwankte zwischen Optimismus und Verdrängung. Das Sterben war einfach noch nicht vorgesehen. Er hatte doch eben erst begonnen zu leben. „Den Teufel werde ich auch noch besiegen“, sagte er.

Doch an einem Tag im August kam er mit seiner kompletten Schiedsrichterausrüstung auf den Fußballplatz. Er wollte alles abgeben und sich verabschieden. Er gehe jetzt in ein Hospiz. So wie er es sagte, klang es nach einem Kurztrip in die Berge. Er löste seine Wohnung und sein Atelier auf, besuchte noch einmal alle Orte und Freunde in Berlin.

Selbst im Hospiz sagte er, dass es ihm schon wieder besser gehe und brachte mit seinem Berliner Dialekt die Betreuer zum Lachen. Ein letzter Abschied erreichte seine Freunde über Facebook. In der Nacht zum 29. November 2013 starb „Michja“, so ließ er sich von denen nennen, die er mochte.

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