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Hackescher Markt

© Thilo Rückeis

Mietpreise: Abschied von der Szene

Schluss mit billig: Rund um den Hackeschen Markt werden kleine Geschäfte und Lokale verdrängt. Die Besitzer können sich die horrenden Mieten nicht mehr leisten.

Für Tilman Schwarberg und sein „Luzifer“ ist es ein trauriger Tag. Der Laden für Textilien aus Leinen und Hanf an der Alten Schönhauser Straße ist leer geräumt. An einem letzten Regal erinnern Aufschriften an Schlag-, Matrosen- und Marinehosen. Eine Frau von der Hausverwaltung ist zur Schlüsselübernahme gekommen. Am Schaufenster draußen steht mit großen Buchstaben: „Wir ziehen um.“

Der Grund sind die hohen Mieten rund um den Hackeschen Markt. Der Quadratmeterpreis des Ladens sei von 21 auf 55 Euro erhöht worden, sagt Schwarberg. Die Frau von der Hausverwaltung schüttelt den Kopf, als sei es nicht wahr. Aber sie streiten sich nicht. Der Vermieter freut sich, dass der Laden einen neuen Interessenten gefunden hat: Sportmode. Und Schwarberg tröstet sich, dass er an der Kollwitzstraße einen Laden zum alten Preis mieten kann. Fünf Jahre war er hier, in Sichtweite des Hackeschen Marktes. Er hat in der Straße Geschäfte öffnen und schließen sehen, es finden sich immer mehr edle Modeläden, und er fragt sich, wie die bei den hohen Mieten noch Geld bringen. Es ist ja nicht so, dass sie voll sind. Aber es sei für Filialketten wohl eine Prestigesache, sich hier zu zeigen.

Das Maklerunternehmen Engel & Völkers hat kürzlich, wie berichtet, für die Gegend eine Handelsanalyse vorgestellt. Es geht um einen Bereich, der im Westen von der Friedrichstraße, im Süden vom Hackeschen Markt, im Osten von der Rosa-Luxemburg-Straße und im Norden von der Torstraße begrenzt wird. Die Makler haben das Gebiet „Quartier Hackescher Markt“ genannt, weil die richtige Ortsangabe Spandauer Vorstadt nicht nur fremde Investoren, sondern auch Berliner immer wieder verwirrt.

Die Untersuchung von über 1000 Läden ergab, dass die Gastronomie an Boden verliert, dass Mode und Schmuck gewinnen und inzwischen Spitzenmieten bis zu 100 Euro pro Quadratmeter gezahlt werden – die sich in Teilbereichen seit 2003 verdoppelt haben. Aber es gibt auch noch Läden für Preise von 25 bis 30 Euro. Schwarbergs „Luzifer“ war bis vor kurzem offenbar noch ein Schnäppchen.

Die Makler malen ein dynamisches Bild, die I-a-Lage direkt am Hackeschen Markt fächere sich auf. Sie sehen Entwicklungspotenzial, auch durch Neubaupläne auf dem Tacheles-Gelände oder mit dem „Hackeschen Quartier“, das am S-Bahnhof entsteht. Der Leerstand ist gesunken, auf knapp über sechs Prozent. Schwarberg wurde aus Maklerkreisen mehrfach angesprochen, ob er sich nicht einen anderen Laden suchen wolle, es gebe Interessenten, die mehr zahlen könnten. Ein Mann im Fotoladen neben dem geräumten Hanfmodegeschäft weist auf leere Läden im Plattenbau gegenüber. Pizzeria und Dönerverkauf sind seit kurzem raus, „wegen der hohen Miete“. Alteingesessene Läden gebe es kaum noch.

Engel & Völkers haben einen deutlichen Zuwachs an Ladenflächen ermittelt, Räume werden um- und ausgebaut, auch im Souterrain. Mehr als die Hälfte aller Läden sind Mode- und Schmuckgeschäfte. Die Neue Schönhauser gilt als „Toplage“ im Quartier. Das schmucke alte Haus, in dem das Lokal „Schwarzenraben“ war, wird zum Modeladen. Etliche Ankündigungen an Geschäften sind auf Englisch, wegen der vielen Touristen.

Der langjährige Bezirksbürgermeister von Mitte und heutige Wirtschaftsstadtrat Joachim Zeller (CDU), ein Alteingesessener, spricht von einem Quartier im Wandel – von der „Szene“ zum Touristenviertel. Es verabschiede sich von seiner besonderen Wildheit, dem morbiden Charme. Gastwirte, die das Gebiet wachgeküsst hätten, könnten mit der Mietentwicklung nicht mehr Schritt halten und wichen Einzelhändlern. „Wie geht das weiter?“ Es zeige sich, dass mit wachsendem Einzelhandel das Viertel abends stellenweise veröde. Aber das frühere Sanierungsgebiet stabilisiere sich als Wohnquartier, 15 000 Menschen sind hier heimisch. Für die Brachflächen würden jetzt Preise weit über dem Verkehrswert gehandelt.

Gastronomie, Mode und Schmuck, zunehmend Kunst und Schönheit bieten sich an. Cemal Özipek ist einer der wenigen, die Lebensmittel verkaufen, unter anderem. Er hat seit elf Jahren einen Tante-Emma-Laden an der Großen Hamburger/Ecke Krausnickstraße. Touristen strömen vorbei, freuen sich über den schönen alten Laden, kaum jemand kauft. „Das Geschäft ist schwer.“ Die Miete kommt mit Nebenkosten auf fast 2000 Euro. Als er einzog, zahlte er 800 DM, der Laden war aber um die Hälfte kleiner. Wie Modehändler Schwarberg sieht er um sich herum Geschäfte öffnen und schließen. Kellerläden würden für 1000 Euro angeboten, das könne nicht auf Dauer gut gehen. Und dann gebe es immer wieder Einbrüche und Ärger mit Versicherungen.

Makler halten das Viertel für spannend und lebendig, der Handelsverband lobt es als Touristenattraktion, auf die Berlin angewiesen sei. Der Wirtschaftsstadtrat meint, wirkliche Probleme gebe es nicht. Durch 200 Millionen Euro öffentlicher Förderung sind seit Anfang der neunziger Jahre gut eine Milliarde Euro an Investitionen ins Gebiet geflossen. Es putzt sich heraus, wird schick, hat kleinstädtischen und stellenweise noch morbiden Charme, etwa mit Clärchens Ballhaus an der Auguststraße oder dem grauen Altbau mit dem „Zosch“ an der Tucholskystraße, wo es griechischen Grieskuchen mit Vanilleeis gibt. „Spekulation auf eigene Gefahr“ steht an der Fassade. Schon verblasst, vielleicht bald schon verputzt.

Christian van Lessen

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