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Berlin: Mister X und die Mauer

Kinder können unter Anleitung Berlin erkunden: Stadttouren und ein neuer Reiseführer sind ganz auf sie zugeschnitten

Die zehnjährige Lea sieht erstaunt zu einem Fenster des Finanzministeriums in der Wilhelmstraße hinauf. Stadtführerin Sabine Hansen von „Berlin mit Kindern“ erzählt gerade die Geschichte des Mannes, der sich mit seinem Sohn und seiner Frau im damaligen DDR-Ministerium auf der Toilette versteckte, in der Nacht eine Leine zur Berliner Mauer spannte und sich vom Osten in den Westen abseilte.

Osten und Westen sind Begriffe, die auf der Kindertour „Checkpoint Charlie“ häufig fallen. Lea kann damit etwas anfangen, denn sie hat den ehemaligen Grenzverlauf zu Beginn der Führung auf einem Blatt Papier mit Buntstiften nachgemalt. „Viele Menschen konnten von einem Tag auf den anderen ihre Großeltern nicht mehr besuchen, wenn sie im anderen Teil der Stadt wohnten“, hat die Stadtführerin den jungen Zuhörern erklärt.

Vor vier Jahren hat die Grundschullehrerin mit Stadtführungen für Kinder begonnen. Zu Fuß erkundet sie in ihren dreistündigen Touren mit den Kindern nicht nur den ehemaligen Grenzverlauf in Mitte, sondern auch Historisches rund um das Brandenburger Tor oder den Kurfürstendamm. Auch der Veranstalter „StattReisen Berlin“ bietet Touren speziell für Kinder an. Entlang den Überresten der Grenzanlage in der Bernauer Straße geht etwa die Führung „Vor der Mauer – hinter der Mauer“. Eine Stadt, zwei Währungen – und zwei Flaggen. Die jüngere deutsche Geschichte ist bei den Kindern ab acht Jahren erklärungsbedürftig. „Die Stadtführer haben immer das alte Ost- und Westgeld in der Tasche, um das unterschiedliche Leben in den beiden Teilen deutlich zu machen“, sagt StattReisen-Geschäftsführer Jörg Zintgraf.

Um Geschichten anderer Art geht es bei der Tour „Emils neue Detektive“. Angelehnt an Erich Kästners Kinderbuchklassiker jagen die Teilnehmer vom Bahnhof Zoo dem Bösewicht Herrn Grundeis hinterher, der Emils Geld gestohlen hat. An Originalschauplätzen bekommen sie Hinweise auf den Aufenthaltsort des Diebs. Statt mit der Straßenbahn fahren die Spürnasen, anders als in den zwanziger Jahren, mit der U-Bahn durch die Stadt. Doch nicht alles hat sich seit Kästners Zeiten verändert: Nahe der Haltestelle Spichernstraße steht noch immer die Litfaßsäule, die auf dem Buchcover zu sehen ist. Die Eltern begleiten die zweistündige Führung – sich einmischen oder gar mitraten dürfen sie jedoch nicht.

Das Besondere des Anbieters „Wir sind Berlin“ sind die Städteführer im Alter zwischen 14 und 21 Jahren. Die Jugendlichen gehen mit Kindern im Alter von acht bis zwölf Jahren bei der Tour „Mitten im alten Berlin“ auf Schatzsuche. In Schnitzeljagd-Manier geht es zu den Ursprungsorten: In und um das Nikolaiviertel müssen sieben Rätsel gelöst werden, damit der Stadtschatz gehoben werden kann. Neu ist die Tour „Die geheimen Schinkelpläne“: Der geheimnisvolle Mr. X hat in Mitte Hinweise auf den Verbleib bisher unbekannter Baupläne des großen Baumeisters Schinkel gestreut, die sich eine Werbeagentur unter den Nagel reißen will, um damit das große Geld zu machen. Das gilt es zu verhindern. „Kinder sind leicht zu begeistern“, sagt Carsten Rasmus, Autor des Radreiseführers „Unterwegs mit Kindern in Berlin und Brandenburg“. „Ein schöner Spielplatz, eine Badestelle oder ein Streichelzoo, und schon läuft der Radausflug wie von selbst.“ 23 Touren hat der Autor zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern selbst getestet und aufgeschrieben. Von Rangsdorf nach Bernau und vom Wannsee bis nach Köpenick an den Müggelsee reichen die Tagestouren. Auch eine Stadterkundung durch Mitte ist per Rad möglich. „Die Tour geht an all den großen Sehenswürdigkeiten wie Siegessäule, Reichstag und Brandenburger Tor vorbei. Dann führt sie an der Rückseite des Zoos entlang, so dass man Tiere sehen kann, ohne Eintritt zu bezahlen“, sagt Carsten Rasmus. „Und im Tiergarten kann man klasse Ball spielen.“ Bei den Fahrten hat er darauf geachtet, dass man gut nebeneinander fahren kann, ein Anhänger problemlos auf dem Fahrradweg Platz findet und möglichst der Straßenverkehr umgangen wird. Bei jeder Tour ist die Entfernung und das Alter für die teilnehmenden Kinder angegeben.

Lea hat am Ende der „Checkpoint Charlie“-Tour viel Neues gesehen. Zum besseren Verständnis bringt Sabine Hansen von „Berlin mit Kindern“ eine dicke Mappe mit Bildern aus der Zeit des Mauerbaus mit. „Anschaulich sollte jede Stadttour sein – egal ob für Groß oder Klein“, sagt sie. „Aber wenn Kinder das Interesse verlieren, zeigen sie das sofort.“ Reiseautor Carsten Rasmus hat ein Gegenmittel gefunden. „Eine Eisdiele ist bei Fahrten mit Kindern immer wichtig.“

Susanne Thams

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