zum Hauptinhalt

Berlin: Mit Bakterien verseucht und von Kähnen gerammt - Vor 75 Jahren schloss der Magistrat die Flussbäder in der Innenstadt

Wenn die Sonne dem Städter aufs Haupt brennt, sucht er sie sich eine lauschige Stelle am Wasser, springt raus aus Jacke wie Hose und rein ins Nass. Das war schon immer so.

Wenn die Sonne dem Städter aufs Haupt brennt, sucht er sie sich eine lauschige Stelle am Wasser, springt raus aus Jacke wie Hose und rein ins Nass. Das war schon immer so. Nur war es nicht immer selbstverständlich, dass der Städter schwimmen konnte. Außerdem galt das Baden im Freien lange als Verstoß gegen Sitte und Anstand. Erst als der Obrigkeit schwante, dass weder Verbote noch Strafen die Berliner vom Sprung in die Spree abhalten konnten, begann sie, das sommerliche Treiben in geordnete Bahnen zu lenken. 1826 regte die Polizeibehörde an, "zur Vermeidung der vielen beim Baden stattfindenden Unglücksfälle und zur Verbreitung der Schwimmkunst in den vorhandenen Anstalten, Schwimmkundige als Aufseher und als Lehrer anzustellen". Gemeint waren private Flussbäder wie das "Welpersche Badeschiff", das es seit 1803 gab. Die erste städtische Flussbadeanstalt für Männer wurde nicht vor 1850 im Innern der Stadt, an der Waisenbrücke eingerichtet. Heute vor 75 Jahren, am 20. Mai 1925 hatte der Badespaß ein Ende: Der Magistrat verfügte wegen zu schlechter Wasserqualität die Schließung der Flussbadeanstalten im Alt-Berliner Stadtgebiet.

Dazwischen lag ein regelrechter Boom: 1905 gab es 15 städtische Flussbäder mit 18 Bassins (sogenannten Badeschiffen), die meisten von ihnen mitten in der Stadt. Umkleidekabinen, Tonnentoiletten, Sprungbretter und "Schwimmangeln", eine Art Kran, mit dem Anfänger zum Lernen ins Wasser gehängt wurden, waren zunächst Luxus. Doch das Volk stürmte die Badeanstalten. Vor allem das Fußvolk. Baden - zumal im Freien - war nie eine Sache der besseren Gesellschaft gewesen. Der "Berliner Beobachter" etwa zeigte sich 1864 pikiert, dass man in den Bädern am Nordhafen nicht nur von außen zu leicht über die niedrigen Zäune linsen konnte, sondern dass Preise von sechs Pfennigen selbst die niedrigsten Stände anzogen. Den besseren Herrschaften empfahl das Blatt ein Bad "in den frühesten Morgenstunden zwischen 5 und 7 Uhr, wo die Anstalten von Handwerkern und Arbeitern verschont bleiben". Um die Zeit trug das Aufsichtspersonal den höheren Ständen - gegen Aufpreis - die Pantinen hinterher.

Die Besucherzahlen stiegen von Jahr zu Jahr. Hatte das Bad an der Schillingbrücke 1863 noch knapp 200 000 Besucher, waren es 20 Jahre später dreimal so viele. Der Magistrat gehorchte der Nachfrage und richtete weitere Bäder ein - wobei er nicht immer eine glückliche Hand hatte. 1897 eröffnete eine Badeanstalt buchstäblich unter der Schillingbrücke. Sie war modern gedacht und - jeder zu seiner Zeit - für Männer und Frauen geöffnet. Wegen der eigentümlichen Lage unter der Fahrbahn waren die Schwimmer zunächst in irritierende Dunkelheit getaucht, und eine Gasbeleuchtung wurde installiert. Das Bad floppte. Keine 20 000 Besucher im gesamten Jahr 1900.

An anderer Stelle, knapp unterhalb der Lessingbrücke wollte man es besser machen, unter anderem mit Bassins erster und zweiter Klasse. Doch es gab ein Problem, das der Bäderchronist Günther Bohm so beschrieb: "Die Lage der Anstalt in einer ziemlich scharfen Kurve hatte den Schleppzügen mit größeren Kähnen immer besondere Schwierigkeiten bereitet." Zuletzt wurde das Bad dreimal von Spreekähnen gerammt. Ein Sturm gab ihm den Rest. Neun Jahre hatte es den Widrigkeiten getrotzt. Eine echte Perle war das Bad am Ende der Cuvrystraße. Eingang und Gebäude waren reich verziert, das Fachwerk mit Yellow-Pine-Holz ausgefüllt, das Dach mit Zypressenschindeln gedeckt.

Mit dem Ersten Weltkrieg war die Zeit der Flussbäder vorbei. Während der Schiffsverkehr zunahm, das Spreeufer zugebaut wurde und sich immer mehr Industrie ansiedelte, spülte die Kanalisation Darmbakterien in das, was einmal das Badewasser der Hauptstadt gewesen war. Der Chronist kommentierte das Ende einer Ära emotionslos: "Die Berliner brauchten diesen veralteten Bädern nicht nachzutrauern." Als das Aus für die Flussbäder kam, waren anderswo bereits Strand- und Freibäder entstanden.

Martin Kaluza

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false