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Berlin: Mit blauen Händen zum Fremden werden

Im Schloss Bellevue sammelten sich phantasiereiche Initiativen zur Integration

Ob man sich das auch zum Beispiel im Rosengarten des Weißen Hauses vorstellen könnte? Ein von Ausweisung bedrohter Flüchtling bei einem großen Fest als Gast des Präsidenten?

Hier geht das. Sassoundine Sibabi streift durch den Park des Schlosses Bellevue, als wenn es sein eigener wäre. Auch sonst wirkt der 17-Jährige aus Togo nicht wie ein Junge, um den man sich Sorgen machen müsste. Charmant plaudert er in akzentfreiem Deutsch mit jenem treuherzigen Unterton, der immer mal wieder die Grenze zur Schlitzohrigkeit streift. Mehr als die Hälfte seines Lebens hat er in Deutschland verbracht, nun fürchtet er, dass die Familie abgeschoben werden könnte, obwohl sein Vater politisch verfolgt worden sei. „Was soll ich in Togo“? fragt er mit breitem Lächeln. Er will Fußballprofi werden.

Sassoundine gehört zu den Münchner Fußballartisten von Buntkicktgut, die beim Wettbewerb des Bundespräsidenten zur Integration von Zuwanderern ausgezeichnet wurden. Nach der offiziellen Preisverleihung trafen sich die Mitglieder von zehn prämierten und zweihundert mit einer Urkunde geehrten Zuwandererprojekten zum Fest im Schlosspark. Dass sich mehr als 1300 Projekte an dem Wettbewerb beteiligt hatten, war dabei immer noch ein Thema, obwohl es in den Reden schon oft genug betont worden war.

Es ist Zeit für gute Nachrichten, beschrieb der Bundespräsident seine Intention, die vielen Helfer mal zusammenzubringen.

Eines der eindrucksvollsten Projekte ist „Art at Work“ aus Bielefeld. Mit leuchtend orangefarbenen Müllmänneranzügen gehen die Mitglieder der internationalen Künstlerinitative über den Rasen und malen einzelnen Gästen die Hand blau an. Damit wollen sie ein Zeichen für die Menschlichkeit setzen, die Blaue Hand als Signal für das Akzeptieren von Andersartigkeit, für Zivilcourage und Solidarität. Diejenigen, die sich anmalen lassen, sollen außerdem ein Gefühl dafür bekommen, wie es ist, in einer anderen Haut zu stecken, wollen sensibilisieren für das, was Menschen bedroht. Diesmal waren sie eingeladen, aber man kann sie auch buchen (Tel. 0521/ 65964). Nach all den vielen Glamoureinlagen, mit denen sich Feste hier schmücken, könnten sie sicher den Nachdenklichkeitsfaktor gut stärken.

Auch Sassoundine hat sich die Hand blau malen lassen, obwohl dem Münchner Straßenkind aus Togo das Gefühl von Fremdheit nicht unbekannt sein dürfte, auch wenn er es mit seinem strahlend selbstsicheren Auftreten überspielt.

Mühe, Kontakte zu knüpfen, hat er jedenfalls nicht. Mit seinen Kumpels tobt er über den Rasen und sammelt Autogramme auf Fußbällen. Hinweise, man sei doch gar nicht berühmt, lässt er nicht gelten. „Ach, komm, hier ist jeder berühmt.“

Die „Mondfrauen“ aus Norderstedt finden nicht so leicht Anschluss, obwohl sie zu Hause ein gut funktionierendes Frauennetzwerk gegründet haben. Seit fünf Jahren gibt es regelmäßige Runden zum Kaffeetrinken, bei denen sich die Frauen, darunter viele Afrikanerinnen, zwingen, Deutsch zu reden. „Am Anfang haben wir uns mit Händen und Füßen unterhalten, aber jetzt geht es schon viel besser“, sagt Gisela Nuguid.

Marisa Pablo-Dürr von den Philippinen berät mit ihren Freundinnen in Bayern vorzugsweise ausländische Frauen, die deutsche Männer geheiratet haben. Eheprobleme, Sprachschwierigkeiten, Aufenthaltserlaubnisse – wenn kulturelle Unterschiede aufbrechen und schmerzhaft werden, dann bricht oft alles auf einmal zusammen. Komisch, wie deutsch die Frauen wirken, sie vermissen „Stellwände, damit man mehr Projekte kennen lernt“. Vielleicht hat das Fest ja eine Initialzündung gegeben zu weiteren Großveranstaltungen für diesen Kreis. Das Engagement scheint keine Grenzen zu kennen. Da ist der Bildhauer aus dem Kongo, der in Frankfurt ehrenamtlich mit Inhaftierten an Kunstprojekten arbeitet, während sein Freund aus Mozambique in Schulklassen über seine Kultur redet. Das Erfolgsrezept lautet, dass Menschen, die bekannt sind, nicht so leicht angegriffen werden können. Oder die Migrantinnen aus Göttingen: Beim Anbau von Kräutern und Gemüse in den Internationalen Gärten überwinden sie den Verlust ihrer ursprünglichen Heimat. Da sind auch die Frauen der Integrationsinitiative eines kleinen Orts in Niedersachsen, die ebenfalls Autogramme sammeln, aber auf T-Shirts, die sie zugunsten der Flutopfer versteigern wollen.

Als auf der Bühne „The best years of my life“ erklingt, stoppt Sassoundine kurz und wippt ein bisschen im Takt. Sicher unterstreicht das für ihn ungewöhnliche Ambiente seinen Optimismus. Bleibt zu hoffen, dass sich die Gründe dafür mehren. Zeit für gute Nachrichten sollte eigentlich immer sein. Elisabeth Binder

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