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Nächster Halt: Hertha BSC. Heute werden wieder 30 000 Menschen den S-Bahnhof Olympiastadion stürmen – vor dem Spiel und danach noch einmal.

© Kai-Uwe Heinrich

Mit der S-Bahn zu Hertha BSC: Ihr könnt nach Hause fahr’n

70 000 Fußballfans wollen am Samstag Hertha BSC im Olympiastadion spielen sehen. Fast die Hälfte fährt mit der S-Bahn hin und zurück. Wie kommen die Massen nach dem Abpfiff eigentlich schnell wieder nach Hause? Wir waren beim Bahnhofs-Management dabei.

Ein Raunen geht durch das Olympiastadion: der Abpfiff? Transportleiter Peter Schön wirft einen Blick auf seinen Fernseher. Der Videotext informiert die Männer in der Führungsstelle am S-Bahnhof über die Ereignisse im Stadion. Gerade gibt es einen Platzverweis in der Nachspielzeit. Die ersten Fans trudeln schon auf dem Bahnhof ein. Sie wollen einen Zug kriegen, bevor es richtig eng wird. Schön schnappt sich sein Fernglas und geht nach draußen auf die Terrasse. Gleich kommen die Massen, und von der Terrasse hat Schön den besten Überblick.

70 000 Fans werden beim Spiel Hertha gegen Schalke erwartet

Am heutigen Sonnabend wird das Olympiastadion fast ausverkauft sein. 70 000 Fans werden zum Bundesliga-Spitzenspiel von Hertha BSC gegen den FC Schalke 04 erwartet. Mindestens 30 000 Menschen fahren bei solchen Duellen mit der S-Bahn hin und zurück. Besonders nach dem Schlusspfiff wollen alle schnell weg, selbst wenn Hertha gewonnen hat: zurück zur Familie, weiter in die Kneipe oder – im Fall der Gästefans – zum Bahnhof Spandau, wo der Sonderzug wartet. Spieltage sind auch S-Bahn-Tage.

Mehr als 20 Minuten soll niemand auf die Bahn warten. Tausende Menschen müssen in kürzester Zeit sicher über den Bahnsteig in die Züge manövriert werden – Präzisionsarbeit. Schön ist seine Aufgabe bewusst: „Der Verkehr muss schnell und sicher rollen.“ 90 Prozent der Abläufe seien Routine, „zehn Prozent sind Risiko“, sagt der 35-Jährige, der direkt nach dem Schulabschluss bei der S-Bahn anfing. Den Dienst hier managt er im Dreierteam mit Thomas Lorenz von der Bahnsicherheit und Bundespolizeiführer Marco Zack. Nach dem Abpfiff wird es für sie ernst. Das Olympiastadion ist eine der größten Arenen in Deutschland. Der Bahnhof liegt gleich am Stadion: 1909 wurde er neben der damaligen Pferderennbahn errichtet und für die Olympischen Spiele 1936 ausgebaut. Fünf Bahnsteige und zehn Gleise gibt es – vier Bahnsteige sind für die Spieltage reserviert. Wenn im Stadion nichts los ist, werden dort die Züge von innen gereinigt.

S-Bahnhof Olympiastadion nur an Spieltagen mit Personal besetzt

Auch die Führungsstelle am Bahnhof ist nur an Spieltagen besetzt. Drei Stunden vor Anpfiff treffen die Männer ein; über zwei Treppen geht es nach oben in eine Raumflucht voll mit Servertechnik und Computern. Vorne, vor einer Batterie von vier Monitoren, sitzt Thomas Lorenz – der Herr über die Überwachungstechnik. Per Joystick steuert er neun Kameras; ab und zu schweift sein Blick auch direkt über den Bahnhof. Die nötige Übersicht bietet die Terrasse im ersten Stock des Bahnhofgebäudes. Von dort kann nicht nur der komplette Bahnhof, sondern auch die Flatowallee bis hoch zum Coubertinplatz eingesehen werden. Mit rot-weißem Absperrband in den Händen eilen Männer und Frauen in Warnwesten über den Bahnhof, leiten die Menschenmassen hin und her. Lorenz teilt ihnen per Funk mit, auf welchem Bahnsteig der nächste Zug einläuft. Die Absperrbänder werden beiseitegenommen, die Masse flutet den Bahnsteig. „Auf jeden Bahnsteig passen 3000 Leute“, sagt Transportleiter Schön, der die Lage mit dem Fernglas beobachtet. Ist ein Bahnsteig voll, wird wieder abgesperrt. So geht es im Wechsel reihum.

Als die Türen aufgehen, stürmt die Menge die Abteile. Ein Sitzplatz ist ein Hauptgewinn, der Rest steht Schulter an Schulter. In wenigen Sekunden quetschen sich 1500 Menschen in den Zug. Er ist berstend voll. „Immer das Gleiche“, sagt Schön, „am ersten und letzten Abteil bilden sich Trauben, in der Mitte ist Platz – warum bleiben die Leute an den Eingängen stehen?“ Schön wartet, bis sich die Menschen halbwegs verteilt haben. Dann gibt er das Okay für die Abfahrt. Derweil lauscht Marco Zack von der Bundespolizei über Funk den Berichten seiner Kollegen. Wenn die Stimmung auf dem Bahnsteig von bierselig zu gewalttätig kippt, muss Zack reagieren: „Das Hauptrisiko geht von Betrunkenen aus. Der Alkohol enthemmt sie, macht sie schwer kalkulierbar.“

Gewalttätige Fußballfans werden von der Polizei begleitet

Wenn Hooligans aus rivalisierenden Lagern aufeinandertreffen, kann es schnell brenzlig werden. Seit anderthalb Jahren arbeitet Zack auf dem S-Bahnhof, Massenschlägereien hat er hier noch nicht erlebt. Gänzlich friedlich bleibt es aber selten: In der Regel gibt es an einem Spieltag zwei bis drei Schlägereien. Das Ergebnis des Spiels spielt dabei gar keine Rolle. „Es ist nicht so, dass die Masse der Fans nach Niederlagen aggressiver wird“, erzählt Zack.

Um die Masse der Fans – im offiziellen Sprachgebrauch Fans der Kategorie A – müssen sich die Sicherheitsleute nicht besonders kümmern, sie sind friedlich. Zack ist für die Fans der Kategorien B und C zuständig, die bei Provokationen aggressiv reagieren oder Schlägereien anzetteln. Von diesen Fans geht die größte Gefahr aus. Sie werden auf Schritt und Tritt von der Polizei begleitet. Die Männer auf der Terrasse nennen sie „die Relevanten“.

Eine halbe Stunde nach Abpfiff ist alles wieder still

Als die Menge auf dem Bahnhof nach und nach kleiner wird, ziehen gerade etwa 200 Gästefans, flankiert von gepanzerter Landespolizei, vom Coubertinplatz zum S-Bahnhof. „Lassen wir die Relevanten alleine fahren oder können wir noch den ganzen Zug vollpacken?“, fragt Lorenz in die Runde. Nach kurzer Bedenkzeit entscheidet sich Schön für die sichere Variante und disponiert um: Die nächste S-Bahn in Richtung Westkreuz fährt exklusiv für die Gästefans, die Herthaner müssen warten.

Stille. Eine gute halbe Stunde nach dem Abpfiff liegt der S-Bahnhof so ruhig da wie vorher, nur ein paar Nachzügler warten noch. Schön und Lorenz packen ihre Taschen; Feierabend. Zack fährt nach Spandau: Dort fährt am späten Abend der Sonderzug aus dem Bundesgebiet ab. Der Bundespolizist schiebt weiter Dienst. „Zum Saisonabschluss gehen wir mal ein Bier trinken“, rufen die anderen ihm nach.

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