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Berlin: Mit Hexen Spanisch lernen

Schauspieler Juan Carlos Mesa bringt die Sagengestalten Lateinamerikas nach Berlin. Einmal im Monat erweckt er sie im Keller eines Kreuzberger Restaurants zum Leben.

Die „Weinende“ hat er selbst gehört, sagt Juan Carlos Mesa. Als er in Kolumbien einmal draußen auf einer Wiese übernachtete. Laut und deutlich sei das Klagen gewesen, das der Legende nach dem toten Kind der bekannten lateinamerikanischen Sagengestalt gilt. Die alten Geschichten habe er schon vorher erzählt, sagt Juan Carlos Mesa. Doch seit der Nacht auf der Wiese wisse er, dass sie wahr sind.

Vielleicht ist es dieser Glaube, der ihm die Gabe gibt: Wenn Juan Carlos Mesa seine Geschichten von Teufeln und Hexen, von Zaubereien und Wundern erzählt, meint man, die Gestalten in den Schatten an der Wand erkennen zu können. Einmal im Monat kommt der Kolumbianer in das Restaurant „Hands Up“ am Halleschen Tor, stellt Kerzen und einen riesigen Sessel in den verdunkelten Partyraum im Keller und führt seine Zuhörer in die fremdartige Sagenwelt seiner Heimat.

Einen richtigen Fankreis hat er sich schon erworben. Viele Gäste kommen aber nicht nur, weil es Spaß macht, ihm zuzuhören, sondern weil sie auch etwas lernen. Denn Juan Carlos Mesa erzählt auf Spanisch. Und weil der gelernte Schauspieler den Tieren und Figuren, von denen er erzählt, mit unterschiedlichsten Grimassen und ausholenden Bewegungen Gestalt verleiht, werden auch unbekannte Worte verständlich. „Außerdem spricht er ganz langsam und fragt oft, ob man weiß, was dieses oder jenes Wort bedeutet“, sagt einer seiner Zuhörer, der sein Spanisch in der Schule und durch verschiedene Sprachkurse gelernt hat.

Juan Carlos selbst fasziniert die „Kunst der Wörter“ schon von klein auf, sagt er. In Lateinamerika hat das Geschichtenerzählen lange Tradition. Juan Carlos Mesa hat die ersten Legenden von seinem Großvater gehört. Der wollte seine elf Enkelkinder irgendwie zum Schweigen bringen, damit sie ihre Bohnen aßen, abends auf der Veranda. Also lehnte er sich auf seinem Holzstuhl zurück, zog den Sombrero tief ins Gesicht und fing an zu erzählen.

Während seines Studiums begann Juan Carlos Mesa, Geschichten systematisch zu sammeln. „In den Semesterferien sind meine Freunde zum Tanzen gegangen, während ich alte Leute besucht habe, um mir von ihnen erzählen zu lassen.“ Irgendwann begann er, das Gehörte weiterzugeben. „Anfangs kamen zehn Leute“, sagt er. Dann waren es plötzlich hunderte. Denn Mitte der 90er Jahre kamen die „Cuenteros“ in Kolumbien und vielen anderen lateinamerikanischen Ländern groß in Mode. In Kneipen und Theatern lebten lang vergessene Sagen von Hexen und Teufeln wieder auf, Geschichtenerzähler aus verschiedenen Ländern trafen sich auf riesigen Festivals. Bald reisten die Geschichten über den Ozean nach Spanien, und mit ihnen Juan Carlos Mesa. Von dort hat er die Tradition nach Deutschland getragen. Eigentlich ist er der Schauspielerei wegen in Berlin, sagt er, nur hier könne er seine Theaterprojekte umsetzen, so wie er es sich vorstelle. Trotzdem will er niemals aufhören, seine Geschichten zu erzählen. Damit sie nicht verloren gehen. „Es gibt ein Sprichwort, das sagt: Jedes Mal wenn ein Großvater stirbt, stirbt mit ihm eine ganze Bibliothek.“

„Cuentos de la luna loca“, jeden ersten Freitag im Monat ab 20 Uhr im Hands Up, Friedrichstraße 12, Tel.: 0162-5125178, Eintritt 8, ermäßigt 6 Euro.

Anne Seith

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