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Berlin: Mit links

In Friedrichshain-Kreuzberg kämpfen der grüne Christian Ströbele und PDS-Bürgermeisterin Cornelia Reinauer um das Mandat

Von Sabine Beikler

Zwei Damen stehen vor einem Plakat. Sagt die eine zur anderen: „Sag’ mal, ist das der Papst?“ Der grauhaarige Mann, der auf dem Fahrrad eine Flasche Biomilch transportiert, ist nicht der Papst, sondern Christian Ströbele. Der grüne Bundestagsabgeordnete freut sich über solche Reaktionen auf sein Wahlplakat. „Bis ich zehn war, wollte ich auch Papst werden“, sagt Katholik Ströbele, lacht, und drückt einem Mann, Mitte 20, blonde Haare und viele Zahnlücken, ein Flugblatt in die Hand. Der kaut an einem Fischbrötchen, reckt den Daumen nach oben und sagt: „Weitermachen.“ Ströbele geht weiter und murmelt „98“.

Das Mitzählen von potenziellen Wählerstimmen geht beim Grünen-Direktkandidaten in Friedrichshain-Kreuzberg auf seinen Wahlkampftouren automatisch. „Das mache ich immer.“ Auf dem Graefekiez-Fest kommt der 66-Jährige gar nicht mehr aus dem Zählen heraus. Hier im Wahlkreis hat er vor drei Jahren 31,6 Prozent der Erststimmen bekommen. Er holte bundesweit das erste grüne Direktmandat und zog wieder in den Bundestag ein. „Sie kriegen drei Stimmen von uns“, ruft ihm ein Trio zu, das vor dem Café Lebmet in der Dieffenbachstraße sitzt. „Ich wähle Ströbele, weil er am glaubhaftesten rüberkommt“, sagt Martin Ehlebracht von der Interessengemeinschaft Graefe- Kiez. Als Sozialarbeiter Peter Biernoth von „Xtra“, einem Projekt für Kinder- und Jugendarbeit, Ströbele sieht, winkt er ihn an seinen Stand. „Mensch, wir brauchen noch ’nen Schirmherrn.“ Ströbele lässt sich nicht lange bitten. In diesem Kiez ist er das personifizierte gute Gewissen. Ein Heimspiel für ihn.

Gegen den Bekanntheitsgrad von Ströbele hat Cornelia Reinauer hier einen schweren Stand. Sie ist zwar Bezirksbürgermeisterin, aber die Leute kennen sie nicht. Zaghaft tritt die PDS-Direktkandidatin an potenzielle Wähler heran, verteilt Wahlprospekte und sagt freundlich: „Ich bin Ihre Bürgermeisterin und würde mich freuen, wenn Sie mich wählen.“ Ja, das sei schon „sehr schwer“ gegen Ströbele. „Aber ich kämpfe.“ Und wenn’s mit dem Einzug in den Bundestag nicht klappen sollte, dann habe sie ja auch noch einen „Job, der mir wahnsinnig Spaß macht“. Seit 1995 ist die gebürtige Schwäbin Kommunalpolitikerin: erst Vize-Bürgermeisterin und Gesundheitsstadträtin in Marzahn, dann Stadträtin in Kreuzberg. Die 51-Jährige beerbte 2002 Bärbel Grygier als Bezirksbürgermeisterin. Grygier scheiterte vor drei Jahren als Ströbeles Gegenkandidatin mit 21,4 Prozent.

Reinauer kennt ihren Bezirk. Seit 27 Jahren lebt sie in Kreuzberg. Sie spricht gut türkisch und setzt sich für mehr Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung von Migranten ein. Im Bundestag will sich die gelernte Bibliothekarin „für die Kommunen und eine Umverteilung von oben nach unten“ stark machen. Aber dafür muss sie gegen Ströbele gewinnen: Mit dem fünften Platz auf der PDS-Landesliste ist sie chancenlos. Doch der „Glorifizierung“ des Rechtsanwalts, wie sie sagt, kann sie nur die „inhaltliche Auseinandersetzung mit Bezirksthemen“ entgegensetzen. Bundespolitische Erfahrung hat sie keine. Vielleicht hat die Wahrsagerin auf dem Graefekiez-Fest Recht, die ihr zuraunt: „Etwas gutes Neues wird kommen, aber du bist noch nicht glücklich.“

Zwei Tage später sitzt Reinauer vor Gymnasiasten der Hermann-Hesse-Oberschule auf einem Podium zusammen mit den anderen Direktkandidaten. Sie wirkt tatsächlich nicht gerade glücklich. Trotz rotem Kleid, roten Schuhen und rotem Lippenstift verblasst sie gegen Ströbele in Jeans und blauem Hemd. Der Grüne punktet. Den Schülern gefallen klare Aussagen wie „Ich bin für Ehrlichkeit. Politik schafft keine Arbeitsplätze.“ Die PDS-Frau setzt dagegen, dass „wir als Einzige gegen Hartz IV waren und die Umverteilung von oben nach unten fordern“. Ihre Aussagen bleiben unkonkret. Selbst als sich Ströbele für die Legalisierung von Cannabis ausspricht und im gleichen Atemzug sagt, dass er „völlig drogenfrei“ lebe, klatschen die jungen Leute. Sie mögen seine Geradlinigkeit. Er blättert in einer Miniaturausgabe des Grundgesetzes, Cornelia Reinauer knetet die Hände.

Prenzlauer Berg-Ost ist dagegen das Revier von Cornelia Reinauer, hier hat Ströbele kein Heimspiel. Östlich der Prenzlauer Allee gibt es viele PDS-Stammwähler. An die kommt Ströbele schwer ran. Klinken putzen in Plattenbauten mag er genauso wenig wie Restaurantbesucher anzusprechen. „Ich möchte nicht stören.“ Er bleibt gern etwas auf Distanz. Seine Helfer haben einen Stand vor dem Supermarkt Kaiser’s an der Marienburger Straße aufgebaut. Die meisten Passanten sagen kurz „Danke“, nehmen Flugblätter und gehen einkaufen. „Die Grünen haben verschissen außer Ströbele“, schimpft Michael Wirths, 28 Jahre alt. Der Student will die Zweitstimme der Linkspartei geben. „Auch nur Quatschköpfe. Aber über die ärgern sich wenigstens alle.“ Viele hier sagen, dass sie sich noch nicht entschieden haben.

Vor dem Filmtheater am Friedrichshain steht die Linkspartei mit ihrem Stand. Cornelia Reinauer hat ein „gutes Gefühl. Die Menschen begegnen mir nicht abweisend.“ Ferdinand Lindner, 19, ist Erstwähler. Zur Linkspartei gebe es „keine Alternative“. Das gefällt Reinauer. Nur noch zwei Prozentpunkte liegen zwischen Ströbele und ihr. Das weiß sie aus einer Umfrage, die im Auftrag des Tagesspiegels erstellt wurde. „Machbar“, sagt sie und bricht auf zur Kneipentour. Nach Kreuzberg, in Ströbeles Revier.

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