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Hände hoch. Für die Piraten hat der Parlamentsalltag begonnen. Foto: Reuters

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Berlin: Mit schwerem Geschütz

Die Piraten starten souverän im Parlament – und drohen schon mal mit Verfassungsklage

Erst um zwei Uhr morgens hatte Piratin Susanne Graf, die jüngste Abgeordnete im neugewählten Parlament, endlich Schlaf gefunden, und eine Stunde, bevor ihr Wecker klingelte, wachte sie schon wieder auf. Müde war sie also, als sie im Abgeordnetenhaus eintraf, an diesem Tag, auf den die Piraten viele Monate hingearbeitet hatten – und stand dennoch den Reportern bereitwillig Rede und Antwort, die sie schon vor dem Gebäude befragten, filmten, fotografierten.

Das Interesse daran, wie die Fraktion ihre Arbeit beginnen würde, war groß, und die Piraten nutzten die Gelegenheit, um einen inhaltlichen Akzent zu setzen. Sie stellten zwei Änderungsanträge zur Geschäftsordnung des Parlaments: einen, der die Rechte kleiner Fraktionen stärken soll, und einen weiteren, der einzelnen Abgeordneten zu mehr Kompetenzen verhelfen soll. Nachdruck verlieh Pavel Mayer den Forderungen mit einer Ankündigung: Im Zweifel werde man vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof gegen die Geschäftsordnung klagen – denn die sei letztlich eine Misstrauenserklärung der Abgeordneten an sich selbst.

Die Piraten fordern, dass künftig jede Fraktion einen Parlamentsvize stellt – so wie beispielsweise im Bundestag. Bisher hat der Präsident des Abgeordnetenhauses nur zwei Stellvertreter, kleine Fraktionen gehen also – wie jetzt die Piraten – unter Umständen leer aus. Außerdem wollen sie kleineren Fraktionen erleichtern, Sondersitzungen zu beantragen. Einzelne Abgeordnete sollen beispielsweise das Recht erhalten, Anträge und Große Anfragen zu stellen und in Ausschüssen abzustimmen. Praktisch relevant wäre das wohl vor allem für Fraktionslose.

Mit seiner Ankündigung, notfalls Verfassungsklage zu erheben, sprach Mayer zwar nicht im Namen der gesamten Fraktion, sorgte aber dennoch für Aufregung. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte er allerdings später, man lege es nicht auf einen Rechtsstreit an: „Wir haben uns sagen lassen, dass eine begleitende Klage die Arbeit im Ausschuss deutlich beflügelt.“ Dorthin nämlich überwies das Abgeordnetenhaus die Anträge.

Die Vertreter der übrigen Parteien kommentierten die Vorschläge noch nicht inhaltlich – mit Verweis darauf, dass die Piraten ihre Anträge den anderen Fraktionen erst eine Stunde vor Beginn der Sitzung zur Verfügung gestellt hatten. Man kündigte aber an, sich mit den Ideen auseinandersetzen zu wollen.

Auch ansonsten wurden die Neulinge freundlich aufgenommen: „Wir alle warten mit Spannung auf ihre Vorschläge für die Zukunft unserer Stadt“, sagte der neue Parlamentspräsident Ralf Wieland. Dass man sich persönlich erst noch kennenlernen muss, bewies der SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier. Er zitierte aus einem Protokoll der Piratenfraktion und hielt „Martin“ für den Fraktionschef. Der aber heißt Andreas Baum. Der angesprochene Martin Delius ist Parlamentarischer Geschäftsführer.

Die Piraten absolvierten ihren ersten Auftritt souverän, ohne Extravaganzen und mit präzisen Begründungen ihrer Anträge. Wo sich manch altgediente Abgeordnete schon gegenseitig mit Zwischenrufen ins Wort fielen, blieben die Neulinge ruhig auf ihren Plätzen – machten aber, wie zu erwarten war, ausgiebig Gebrauch von Smartphones und Laptops. Optisch traten sie bunt gemischt auf: vom Dreiteiler mit Krawatte bis zur Latzhose. Zumindest die Frage, wann die FDP endgültig aus dem Parlament ausgezogen sein wird, scheint nun geklärt: Ende übernächster Woche werde es so weit sein, sagte Martin Delius. Karin Christmann

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