zum Hauptinhalt

Berlin: Mit Vernunft durchgeboxt

Die ersten 100 Tage: Wissenschaftsministerin Sabine Kunst bereitet radikale Reformen vor – und setzt auf langfristige Wirkung

Eberswalde/Potsdam – Neugierig ließ Sabine Kunst sich jüngst in Eberswalde durch einen altehrwürdigen Backsteinbau führen, den die Hochschule für nachhaltige Entwicklung nach aufwendiger Sanierung wieder in Betrieb nahm. Die 56-jährige Ministerin kennt viele Hörsäle, aber der hier hatte es ihr sofort angetan. Alte dreiflügelige Kastenfenster im Neogotik-Stil, hellblau getünchte Wände und oben eine weiße, durch herabhängende Zylinder geradezu futuristisch wirkende Decke – ein Raum, in dem man nicht laut sprechen muss und trotzdem jedes Wort zu verstehen ist: „Räume mit guter Akustik sind die beste Frauenförderung“, sagt sie.

Sabine Kunst wird es wissen, als Frau der leisen Töne hat sie sich in einer Männerwelt nach oben durchgeboxt. Die frühere Präsidentin der Universität Potsdam ist seit genau 100 Tagen Wissenschafts- und Kulturministerin in Brandenburg. Dass Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sie für sein durch Affären geschrumpftes rot-rotes Kabinett gewann, war durchaus ein Coup in der Not. Und es ist immer noch eine spannende Versuchsanordnung, ein Experiment mit offenem Ausgang: Hier der provinzielle Politik- und Regierungsbetrieb Brandenburgs, da die parteienferne, welterfahrene, intellektuelle Wissenschaftlerin, Deutschlands „Hochschulmanagerin des Jahres 2010“, die frühere Chefin des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes (DAAD), die Platzeck damals quasi aus dem Flieger nach Südafrika holte. Karstädt statt Kapstadt, weites Feld statt weite Welt, kann das gut gehen?

Sabine Kunst musste schnell erkennen, dass sie von ihren Vorgängerinnen Johanna Wanka (CDU) und deren Kurzeit-Ablösung Martina Münch (SPD) ein Ressort übernahm, in dem allenfalls die Fassade intakt war. Bei den Hochschulen – man leistet sich hierzulande sieben, was bei knapperen Kassen immer schwieriger wird – hatte das Kabinett zudem gerade den Etat für 2012 um 27 Millionen Euro gekürzt. Eine Denkmalförderung, die den Namen verdient, gibt es trotz tausender maroder Denkmale in der Mark schon lange nicht mehr. Und in der Kultur erbte sie einen ausgezehrten Theater- und Orchesterverbund, der an seine Grenzen stößt, schon finanziell.

Wenn es nur diese großen Brocken wären. Vor allem aber erbte die Neue, wie sie seitdem tagtäglich erfuhr, eine schier unendliche Zahl von Kulturprojekten, die vom Land mit Kleckerbeträgen gefördert werden. Denen trotzdem oft das Wasser bis zum Halse steht, die immer noch mit der Gießkanne, in der Wirtschaftsförderung längst abgeschafft, gegossen oder, genau genommen, nur betröpfelt werden. Nichts Halbes, nichts Ganzes, alles über 20 Jahre gewachsen, irgendwie, irgendwo, irgendwann – eben brandenburgisch. Der Kulturbereich bedeute für sie „viel Lernarbeit“, sagt Sabine Kunst. „Ich versuche, die Strukturen zu erfassen.“ Und? In ihrer Antwort blitzte viel auf, ihr Ehrgeiz, lakonisch-trockener Humor, eine entwaffnende, von der Politik, ihren Nackenschlägen und Taktierereien nicht verdorbene Offenheit, die Lust an analytischer Schärfe, Perfektion. Nun ja, antwortete Kunst, bisher habe sie keine Strukturen erkennen können, jedenfalls „keine sichtbaren“. Wie auch, wenn es keine gibt.

Noch werden sie im Landtag, egal in welcher Ecke, nicht recht schlau aus dieser Frau, die man unterschätzen kann: klein, zierlich, das Haar oft strubbelig, der der Ruf der Durchsetzungsstärke vorauseilte, die im Plenum bisher aber nicht mit rhetorischen Feuerwerken auffiel, was manchen ernüchterte. Sie wiederum war, sagt einer, der es weiß, irritiert über „das geringe Niveau des Diskurses“ hier. Noch hat sie sich mit eigenen Akzenten zurückgehalten, noch tastet sie, lotet aus. Hört man aber genau zu, dann stehen Wissenschaft und Kultur ziemlich dramatische Umbrüche bevor.

Eine Ahnung davon bekam man beim unprätentiösen Eberswalder Festakt, bei dem „wir uns mal die Sonne auf den Pelz scheinen lassen“ können, wie Sabine Kunst fröhlich begann. Dann kam sie ohne Umschweife zur Sache, ging auf die Protestplakate auf dem Campus gegen die 27-Millionen-Kürzung ein: „Die Landesressourcen werden sich in den nächsten Jahren so entwickeln, wie es jeder schon lange nachlesen kann.“ Sie nehme für ihr Ressort diese Herausforderung an. Bei den Hochschulen sei ein „struktureller“ Umbau nötig, für den eine Expertenkommission Empfehlungen vorbereiten soll. Nötig seien, das hatte sie schon vorher klargemacht, klarere Profile, der Abbau von Parallelangeboten, es gehe etwa darum, ob das Land in Potsdam und Frankfurt/Oder wirklich zwei juristische Fakultäten braucht. Und dann kündigte Kunst, noch etwas verklausuliert, erstmals öffentlich das Ende des Gießkannenprinzips in der Kulturförderung an: „Bei aller Wertschätzung, bei aller Bewunderung für die Vielfalt, es kommt darauf an, die Linien der Landespolitik hier klarer zu ziehen.“ Ihr Ansatz sei es, dezentrale „Netzwerke“, „Kooperationen“ zu knüpfen, um kulturelle Leuchttürme des Landes herum.

Die Sätze werden bisher überhört. Aber der Tag rückt näher, wo es konkret wird, wo sie den Aufschrei der Abgeordneten schon kommen hört, jeder hat Projekte im Wahlkreis. Nein, sie wird nichts kurzfristig „übers Knie brechen“, um „keinen Flurschaden“ anzurichten. Erst die gründliche Analyse, dann Schlussfolgerungen, dieses wissenschaftliche Prinzip gilt für sie erst recht. Sie will gewappnet sein, gute Argumente haben. Die dafür nötige Zeit werde sie „kaufen“, „letzte Reserven“ mobilisieren, um am Ende aber „zu strukturell begründeten Budgets“ zu kommen, bei den Hochschulen und in der Kultur. „2012 muss es zum Schwur kommen.“

Der Countdown läuft also. Und Sabine Kunst zieht in diese Auseinandersetzung, die bei den Befindlichkeiten, Empfindlichkeiten und Beharrungskräften in diesem Lande einige Sprengkraft hat, mit offenem Visier, aber ohne jedes Parteihinterland. Sie will es durchziehen, sie hat den Rückhalt Platzecks, der sie genau dafür holte, dem Vernehmen nach ihr nüchternes Herangehen schätzt, das ihm, dem studierten Kybernetiker, wohl auch persönlich nahe ist. Aber sie hat nicht seine politische Geschmeidigkeit. Mehr noch, sie will ausdrücklich immun bleiben gegen die Kurzatmigkeit des Politikgeschäfts, innere Distanz bewahren, das fachliche Prinzip langer Linien durchhalten: „Ich würde mich sonst selbst verraten.“ Worauf sie setzt? „Ich habe nichts als die Vernunft“.

Das ist viel in Brandenburgs Enge. Aber es ist auch, und das weiß Sabine Kunst am allerbesten, ein verdammt hohes Risiko.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false