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Berlin: Mordanklage: Alpenveilchen am Fenster

Der linke Rolladen im Parterre hängt schief, zwei mausgraue Läden daneben sind korrekt heruntergelassen. "Das sieht schon seit Wochen so tot aus", sagt ein vielleicht 70jähriger Mann.

Der linke Rolladen im Parterre hängt schief, zwei mausgraue Läden daneben sind korrekt heruntergelassen. "Das sieht schon seit Wochen so tot aus", sagt ein vielleicht 70jähriger Mann. Er wohnt direkt gegenüber und erinnert sich: "Wissen Sie, diese Frau war nie da."

Die Rolläden gehören zu jener Wohnung an der Wetzlarer Straße 21 in Wilmersdorf, in deren Düsternis ein Trupp Feuerwehrleute vor vier Tagen das mumifizierte Kind fand. Gestern wurde die Tragödie bekannt - und das dunkel verputzte Haus von der Presse belagert.

"Was, so etwas Schlimmes - in dieser Gegend!" wunderten sich Passanten, gilt das Viertel doch als gut bürgerlich mit seinen mehrstöckigen Wohnblocks aus den 20er Jahren, davor ein bißchen Wiese, dann der Gehweg, auf dem sich zur Zeit dürre Weihnachtsbäume stapeln und die Straße. Spatzenvölker zwitschern, an der nahen Sankt Marienkirche sitzen Penner auf den Stufen. Sie scheinen hier die einzigen sozialen Problemfälle zu sein. Immerhin liegt fünf Minuten Fußweg entfernt der Rüdesheimer Platz: Ein Symbol für gutsituierten Berliner Wohnstil.

Im dritten Stock über der verrammelten Parterrewohnung stehen Alpenveilchen im Fenster. Weihnachtssterne hängen an den Scheiben, dahinter schimmert Licht. Doch in diesem Haus öffnet heute kein Mensch die Türen. Und wer heimkehrt, hebt abwehrend die Hände: "Ich sage nichts." Nur ein etwa 40jähriger Hausbewohner lässt sich ein paar Worte entlocken. "Die Frau war alleinerziehend", erzählt er. "Seit zwei Monaten haben wir sie nicht mehr gesehen. So richtig gekannt hat sie keiner." Schreie oder Gewimmer habe niemand gehört. "Uns fiel nur irgendwann der üble Geruch auf."

Eine Unbekannte war die Mutter des zweijährigen Alisan-Turan offenbar auch in den Nachbarhäusern. "Wir haben die beiden ganz selten gesehen", sagt eine jüngere Frau, schräg gegenüber. Vielleicht gingen sie dann zum Spielplatz, der gut fünfzig Meter entfernt liegt. Viele Gleichaltrige hat der Kleine dort vermutlich nicht getroffen, gilt die Gegend doch eher als Pensionärsviertel.

Dennoch ereignete sich im August vergangenen Jahres nur ein paar Straßen entfernt eine gleichfalls tragische Familientragödie. Eine 38jährige Mutter beging aus Angst vor finanziellen Schwierigkeiten eine Kurzschlusshandlung: Sie verabreichte ihren drei Kindern und ihrem Mann einen Giftcocktail. Der Vater starb, die Kinder überlebten.

CS

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