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Berlin: Morsende Männer

Von wegen „Frollein vom Amt“: Vermittlung war einst Herrensache

Von außen sieht das Gebäude an der Jägerstraße stattlich aus. Eine noble Sandsteinfassade im Stil der italienischen Renaissance. So war es auch um 1890. Wer es damals nicht besser wusste, dachte beim Vorübergehen an eine obere Behörde, auch an ein Hotel. Doch im Inneren des Haupttelegrafenamtes ging es nicht vornehm, sondern höllisch laut zu. Das Erdgeschoss bestand fast nur aus einem großen Saal, wo im gleißenden Licht der Bogenlampen hundert Männer morsten und telegrafierten.

Im Apparatesaal unter dem Glasdach kamen sie mächtig ins Schwitzen, die Geräte klapperten, die Dampfluftheizung rauschte. Die Lüftungsschlote saugten verbrauchte Luft ab, frische kam nur aus dem Keller. Damals war das alles ganz modern. Wie auch die zentrale Feuerlöschanlage oder die Rohrpost, mit der die Telegramme zwischen den Dienststellen des Amtes befördert wurden. Das Haus war eine Sehenswürdigkeit und wurde gern von ausländischen Fachleuten besucht. Aber es ging eben auch laut zu, was die Beschäftigten nervte.

Die Herren Telegrafen hatten wenigstens 25 Minuten Pause am Tag. In den Katakomben des Kellers lag der Erfrischungsraum. Eine Bierhalle hatte den Betrieb übernommen. Die ließ fleißig Halbe ausschenken, was der Oberaufsichtsbeamte gar nicht gern sah. Die Herren Telegrafen zogen oft mit Bier und Stulle in die Garderoben, wo sie sich vor den Kontrolleuren leichter verstecken konnten. Es war eine rauhe Männerdomäne, das Kaiserliche Haupttelegrafenamt. Um die Jahrhundertwende änderte sich das, Frauen wurden eingestellt, sie hatten für telegrafische Apparate mehr Fingerspitzengefühl – und sie tranken auch nicht so viel.

Damals kam auch das Telefonieren in Mode, noch mit vielen Steckern und handvermittelt, vom „Frollein vom Amt“. Schon 1926 gab es 245 000 Hauptanschlüsse. Das Haupttelegrafenamt verlor später die Bedeutung als Vermittlungsstelle. Nach der Wende wurde es modernisiert, mit einem gläsernen Neubau ergänzt und zur Telekom-Hauptstadtrepräsentanz. Im großen Saal ist jetzt viel Platz für Empfänge.C. v. L.

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